Auch wir haben eine Identität

Aydan Özoğuz, die ehemalige Beauftragte für Flüchtlinge, Migration und Integration brachte es auf den Punkt: „… eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar.“ Sie meinte damit, so verstehe ich es jedenfalls, dass in einem Land, wo Deutsche türkisch, russisch und arabisch denken und fühlen, es eigentlich nichts mehr gibt, was noch speziell deutsch wäre. Und es stimmt ja auch: Wenn alles deutsch ist, ist eben nichts mehr deutsch. Wenn man nun Deutschland als Volk der unspezifischen Kultur beschreibt, so sollte man jedoch den Deutschen mit türkischen, russischen und arabischen Wurzeln eine besondere Kultur nicht absprechen. Und das würde Özoğuz auch nie tun. Doch was ist mit dieser anderen Gruppe, die keinen Migrationshintergrund vorweisen kann? Was macht die eigentlich aus? Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah, zwei Künstler aus Deutschland, haben hier einen Begriff geschaffen, der die begrifflichen Nebel hebt und unsere Identität ins helle, oder besser grelle Licht stellt: Nazihintergrund. Dieser Begriff verdeutlicht, dass eine Gruppe in diesem Land eine bestimmte Herkunft hat, die nicht geteilt werden kann und wahrscheinlich auch nicht geteilt werden soll. Nun heißt es schon seit Jahren, dass die 12 Jahre für immer prägen, egal wie viel Zeit vergeht. Es heißt auch, dass das neue Deutschland, die Bundesrepublik, sozusagen der Gegenentwurf zu Nazideutschland sei. Es gehe darum, sich zu Verantwortung für diese Zeit zu bekennen. Und so ist es tatsächlich gelungen, ein neues Wir zu schaffen: Deutsch sein, heißt anzuerkennen, dass es immer darum gehen muss, dies Nazi-Zeit fruchtbar zu machen, indem man einen Gegenentwurf lebt, der allerdings immer mit der Vergangenheit verbunden ist. Nazi-Deutschland wird so der Ausgangspunkt von allem, was Deutschland heute ausmacht und immer schon dadurch ein Teil davon, so wie bei der Muschel eine Perle wächst, die das Üble sozusagen umhüllt und verschönert, wobei das Üble eben nicht vergeht, sondern ein Teil der Perle bleibt. Moshtari Hilal und Sinthujan Vratharajah haben nun diese deutsche Geschichtsphilosophie beim Wort genommen und erkannt, was dieses Menschen hier ausmacht. Und darüber kann sich eigentlich niemand empören, der jahrelang diese Form der Identitätsbildung in Form von Vergangenheit als Dauerauftrag das Wort geredet hat. Die Deutschen – allerdings nur die, die schon länger hier leben – sind die Nachfahren der Nazis. Für Deutsche mit Migrationshintergrund tut sich da eine Chance auf. Sie können die Deutschen ohne Nazihintergrund sein. Und das ist eigentlich schon genug, um als Lichtgestalt zu erscheinen. Doch auch für uns andere, sozusagen die Kinder und Enkel der Nazis, hat die Bezeichnung seine guten Seiten. Wir haben vielleicht unsere Kultur verloren und leben im Unbestimmten. Aber wir wissen nun, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund noch so bemühen können, so wie wir können sie niemals werden. Denn in den Club der Menschen mit Nazihintergrund kann man nicht eintreten außer durch Herkunft. 

Bild: PDPics

Macht und Moral

Macht hat derjenige, der mir glauben machen kann, meine Wünsche wären auch die seinen. Doch wie geht das? Nehmen wir die Debatte über Critical Whiteness. Da wird, um es abzukürzen, den sogenannten Weißen vorgeworfen, sich als die Normalen darzustellen. Dies sei eine Form der Unterdrückung, da sich der sogenannte Schwarze mit seiner Hautfarbe als unnormal empfindet. Anders gesagt: Meine Hautfarbe ist dein Problem. Man könnte nun argumentieren, dass Weißsein noch kein Privileg darstellt. Denn ein obdachloser Weißer ist ja nicht per se bessergestellt als ein schwarzer Multimillionär. Und der Reichtum des schwarzen Millionärs wird ja wohl auch kaum in den Vorwurf münden, dass damit die Armut des Weißen erst deutlich wird. Doch bei manchen funktioniert die Masche. Sie fangen an, sich in Schuldgefühle zu verstricken. Denn wenn man erst einmal anfängt, die Welt als Jammertal zu betrachten, in das Schwarzsein als Malus nur existiert, weil es privilegierte Weiße gibt, dann kann man nicht anders, als sich schuldig zu fühlen. Doch das allein genügt nicht, um das Bedürfnis zu erklären, die Welt mit dieser Brille zu betrachten. Es muss auch noch was rausspringen. Schuldgefühle sind schon lange mit dem Belohnungssystem verbunden. Diese besteht für woke Weiße – Personen, die sich den Schuh anziehen – darin, anderen Weißen gegenüber moralisch überlegen sein zu dürfen, weil man, im Gegensatz zu ihnen, die tiefe Ungerechtigkeit des Weißseins erkennt. Sehr schnell sitzt man mit am Richtertisch. Und da hat man dann sowohl die Deutungshoheit über das Geschehen als auch die moralische Macht über andere.  Der Wille zur Macht ist nicht unergründlich. Die Wege dazu auch nicht. Einer davon ist Critical Whiteness. Wer sich hier nicht von Schuldgefühlen überwältigen lassen will, der sollte darüber nachdenken, dass Moral und Schuld nicht einfach so da sind, sondern Herrschaftsinstrumente sind. Und genau das lehrt uns doch die Postmoderne, die allerdings zu solch verschrobenen Vorstellungen wie critical Whitness geführt hat: Zu erkennen, dass es immer auch darum geht, uns mit Geschichten zu manipulieren.  

Bild: Sarah Richter