Identitätspolitik auf Russisch

Laut Alexander Dugin, russischer Ideologe, befindet sich Eurasien – also im Wesentlichen Russland – im Kampf mit dem absolut Bösen. Das absolut Böse wäre der westliche Liberalismus. Ihn zu bekämpfen, dazu sei Russland aufgerufen.

In der Tat kann man dem westlichen System einiges vorwerfen. Da fällt einem zunächst einmal Heuchelei ein. Ist es denn nicht verlogen, ständig Werte im Munde zu führen, die für alle gelten soll, um gleichzeitig mit Despoten und Rechtsbrechern gute Geschäfte zu machen und den Islam – ein klassisches antiliberales Konzept – zu hofieren? Zum Liberalismus gehört eben auch das Konzept, es mit allen Handel zu treiben, in der Hoffnung, so würde man die Welt zu einem sicheren Ort machen. Ob diese Vorstellung eine Ausrede ist, darüber kann man streiten.

Dass viele nur um sich selbst drehen und – das muss man schon sagen – dabei gelegentlich durchdrehen ist auch irgendwie westlich. Hyperindividualismus hat seinen Preis. Ihn zu kritisieren, das ist nicht schwer. Besonders peinlich darin ist, dass die gar so großen Individualisten meistens sehr konform denken.

Zu den weiteren Negativseiten des Westens gehört natürlich auch der Komplex der Identitätspolitik. Nicht dass die westliche Welt tatsächlich strukturell rassistisch, frauenfeindlich oder homophob wäre. Im Vergleich zu Ländern wir Russland oder Saudi Arabien ist der Westen ein Paradies für Schwule. Doch es ist ein ehernes Gesetz: Wenn es besser geht, dann werden die Leute hyperempfindlich. Diese bewirtschaftete Pseudoungerechtigkeit und das Getue um Identität höhlt dabei die Gesellschaft als Ganzes aus.

Ebenfalls nicht immer sympathisch ist dieses missionarische Zug des Liberalismus, der schnell in eine Form des Antiliberalismus umschlägt. Die Freiheit wird im Namen der Freiheit vor Zumutungen eingeschränkt. Und viele merken es nicht einmal.

All das kann man dem Westen also vorwerfen. Und sicher fällt uns beim Nachdenken noch viel mehr ein. Doch das ist es ja nicht, was Dugin wirklich stört. Vielmehr braucht er den Westen, um den Osten zu retten. Er braucht den Westen als Negativfolie, um eine durch und durch korrupte und verdorbene Gesellschaft, wie sie die russische ist, irgendwie gut aussehen zu lassen. Es kann dabei durchaus sein, dass er mit mancher Kritik Recht hat. Doch muss man sie am Ende zurückweisen, weil er die Kritik nicht übt, um den Westen über sich selber aufzuklären, sondern weil man ihn als Feind darstellen muss, um im glänzenden Licht zu erstrahlen.

Und genau das erinnert dann doch wieder sehr an die aktuelle Identitätspolitik im Westen. Denn auch dabei läuft es immer auf eins hinaus: Das Gute kämpft gegen das Böse, weil es eben nicht um Veränderung und Aufklärung geht, sondern um die Konstruktion eines Feindbildes zu ganz eigenen Zwecken.