Der Liberalismus verzehrt sich selber

Der Liberalismus verzehrt sich selber

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Arnold Gehlen, der berühmte deutsche Philosoph, hat darauf hingewiesen, dass der Mensch als Mängelwesen Institutionen braucht, die ihm das Überleben möglich machen. Ob Familie, Staat oder Gesellschaft, der Mensch benötigt Strukturen, die er nicht hinterfragt, damit er existieren kann. Warum ist das so? Das liegt nach Gehlen daran, dass der Mensch im Gegensatz zum Tier weltoffen ist. Er kennt kaum Instinkte, kann aber alles aufnehmen, alles glauben und alles denken. Allerdings auch jeden Unsinn. Dieser Nachteil der extremen Weltoffenheit muss ausgeglichen werden, indem man eine Welt schafft, die einen Rahmen vorgibt, in dem sich der Mensch entwickeln kann, wie bei einer Kletterpflanze, die eine Rankhilfe braucht, um nach oben zu wachsen. Gibt es diese Hilfe nicht, dann verkümmert der Mensch.

Der Liberalismus sieht das ganz anders. Er würde behaupten, dass der Mensch schon selbst am besten weiß, was er braucht. Institutionen, die ja auch einschränken und einen Menschen bedrücken, werden im Prinzip nur soweit akzeptiert, wie sie der Entfaltung des einzelnen nicht im Wege stehen. Als Grenze der Handlungsfreiheit wird nur die Handlungsfreiheit anderer gesehen. Kurz gesagt: Tu, was du willst, solange du andere nicht schädigst. Das ist die liberale Devise.

Dazu gehört, dass man nicht nur so schnell auf der Autobahn fahren kann, wie man möchte. Dazu gehört vor allem, dass man den Partner wechselt, wie man möchte, durch die Gegend fliegt, überall und nirgends zu Hause ist und natürlich jetzt auch sein Geschlecht ändert, wenn es beliebt.

Es gilt als Maxime: Lustgewinn ist gut. Unlustvermeidung auch. Das hört sich in der Tat sehr verführerisch an. Und zur Verführung sagt man selten nein. Der Preis des Liberalismus ist allerdings hoch, selbst wenn man die ökologischen Kosten dieser liberalen Gesellschaft nicht mitberücksichtigt. Kinder sind verwirrt, Erwachsene nicht minder, immer mehr Menschen greifen zu Drogen und Medikamenten, um sich zu stabilisieren. Familien lösen sich auf. Psychologen haben alle Hände voll zu tun. Kein Wunder. Denn der Mensch will die Freiheit, sie tut ihm aber nicht immer gut. Er braucht eben den Rahmen, die Institutionen, die seine Freiheit einschränken. Da diese aber in Auflösung sind, gibt es Ausfälle.  

Statt nun die Kosten des Liberalismus zu benennen, werden die Kosten jetzt sogar zum Teil der Freiheitserzählung. Kinder und Jugendliche, die unsicher sind, was ihre Sexualität betrifft, wird eingeredet, man könne das Geschlecht wechseln wie ein Hemd. Leute, die drogenabhängig sind, weil sie in dieser Gesellschaft nicht klarkommen, sollen noch besser an Drogen kommen, damit sie noch freier werden. Und Kinder sollen selbst entscheiden, was sie im Unterricht durchnehmen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Bald wird man sehen, wie unglücklich das viele macht.

Der Liberalismus ist sicher keine schlechte Sache für diejenigen, die inneren Halt haben. Für viele andere wird der Liberalismus langsam gefährlich. Denn Kinder und Jugendliche sind verwirrt. Und Drogensüchtigen wird nicht nur nicht geholfen, sie kriegen die Drogen frei Haus. Fettsüchtige werden zu Freiheitshelden, statt dass man ihr Problem benennt. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Was aber am Ende passieren könnte: Der Liberalismus wird grundsätzlich abgelehnt, weil zu viele Menschen durch ihn zu Schaden kommen.

Doch eins sollte man wissen, bevor man ihn ganz abschafft. Rigide hochmoralische Institutionen, die den Menschen ganz einnehmen, sind auch nicht ganz ohne Nebenwirkungen. Freiheit braucht zwar Grenzen. Aber ohne Freiheit, das wissen wir aus der Geschichte, kommt der Machtmissbrauch. Ganz konkret: In Putins Russland lebt man ohne Freiheit auch nicht gut. Außerdem ist das Land eine einzige Gefahr für andere.

Es sieht, wenn man das bedenkt, ganz so aus, als ob unsere moderne Existenz tragisch zwischen diesen Polen pendelt, nämlich zu viel Freiheit und zu viel Unfreiheit, ohne eine Balance zu finden. Das ist vielleicht, was man als Verlust der Mitte bezeichnen könnte. Der Liberalismus aber will niemals ein Gleichgewicht. Das macht ihn auch gefährlich.

Christian Kümpel

Bild: Pixabay


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