Diversity, davon kann man nie genug haben

Abgesehen von der ethnischen Vielfalt in Deutschland, haben wir jetzt auch sexuelle Diversity. Behinderte gehören dazu. Nicht zu vergessen viele Alte und Junge, die sich nicht mögen, viele religiöse Gruppen, die sich hassen, und auch politische Ansichten in allen Formen, solange sie nicht irgendwie rechts sind. Da hört der Diversity-Spaß natürlich auf.

Und klar, von Diversity kann es nie genug geben. Aber Vorsicht! Es wäre zwar eine interessante Forderung, in Saudi-Arabien mehr Vielfalt zu verlangen. Doch davon hört man wenig. Sicher auch, weil man ja Respekt vor dem Islam und seiner Kultur hat. Da ist Diversity nicht vorgesehen. Diversity gehört nur zum Westen. Sicher auch, weil wir ja ohne Diversity ganz schlecht aufgestellt wären, wie wir immer wieder hören. Und weil wir Blutauffrischung brauchen, oder so.

Erinnern wir uns an die Zeit, als Deutschland, Großbritannien oder Frankreich weiß und christlich waren. So vor 60 Jahren. Einfach ein Desaster. Die Länder waren öde und langweilig. Es gab keinen Döner, für die meisten von uns ein kulinarisches Highlight. Und es ging in den Schulen eher um Leistung, weil man ja keine Sozialarbeit brauchte. Schlimme Zeiten. Wie konnten die Menschen so leben?

Jetzt ist es alles viel besser. Und wir arbeiten daran, dass es noch besser wird, indem wir noch mehr Geschlechter entdecken und mehr Migranten ins Land holen. Manche stellen nun fest: Südkorea macht da nicht mit. Liegt es daran, dass das Land immer weiter zurückfällt? Sicherlich.

Und was ich auch nicht verstehe: Warum erkennen nicht auch die anderen Länder, dass die eigene Kultur so fade ist, dass sie eine Auffrischung braucht, zum Beispiel durch Einwanderung. Die Polen wissen offensichtlich gar nicht, was ihnen entgeht.

Doch was verbindet nun all diese Gruppen, wenn es weder Religion, noch Geschichte, noch Ethnie oder Geschlecht sind. Was hält diverse Gesellschaften zusammen? Ganz einfach! Es ist die Diskriminierung. Alle Gruppen werden irgendwie benachteiligt in diversen Gesellschaften. Verletzte Gefühle, auf dieser Grundlage können wir sicher das Buntland noch weiter voranbringen. Kleiner Nebeneffekt: Den Diskriminierungsbeauftragten geht die Arbeit niemals aus. Wenigstens eine Gruppe, die sich keine Sorgen machen muss in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

Und bitte denken Sie nicht, dass Diversity bedeutet, aus der Not eine Tugend gemacht zu haben. Alles was ist, hat seinen Grund. Noch wichtiger: Alles was ist, ist gut so. Sonst könnte man am Ende noch denken, wir hätten einen Fehler gemacht. Der wäre, ja sowieso nicht mehr zu beheben. Also feiern wir, was ist. Besser wird es nicht mehr.

Christian Kümpel

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Die Macht der Fotos

In Berlin, der Stadt der vielen Möglichkeiten, hat laut FAZ der Schauspieler und Fotograf Hanns Zischler in einem Winkel des Ethnologischen Museum Ablichtungen entdeckt. Darauf unter anderem gezeigt werden abgetrennte Köpfe von Afrikanern. Vermutlich wurden die Abgebildeten von deutschen Kolonialtruppen getötet. Da vor 130 Jahren die „anthropologischen Verhältnisse“ Afrikas auch in Berlin interessierten, schickte man afrikanische Köpfe nach Berlin, die in Formalin eingelegt wurden. Die Fotos entstanden dann wohl in diesem Zusammenhang. Dass solche Köpfe heute nicht mehr öffentlich gezeigt werden sollten, geschenkt.

Aber auch die Fotos werden nun nicht mehr ohne Weiteres präsentiert, sondern verdeckt. Lediglich die Beschriftung der Bilder ist noch erkennbar. In dem Beitrag der FAZ wird der Wissenschaftlicher Holger Stoecker, der sich mit den Fotos beschäftigt hat, folgendermaßen zitiert: „Auch Bilder können bestattet werden.“ Soll heißen: Wir können nur noch den Grabstein lesen. Der Rest bleibt verborgen. Die üblichen Satzbausteine folgen: Die Aufnahmen seien mehr als ein referenzloses Gebilde. Die Fotos bräuchten einen diskursiven Rahmen.

Dass die Fotos erklärungsbedürftig sind, wer wollte das bestreiten? Doch es wird Scheu ins Feld geführt als Begründung dafür, dass man die Fotos nicht zeigt. Die ist wohl eher unwissenschaftlich. Wissenschaftlicher schauen nämlich genauer hin. Sie sind dabei vor allem nicht scheu. Vollends merkwürdig wird es aber, wenn hier von Bilderbestattungen gesprochen wird.

Hier hat man, nicht zum ersten Mal, das Gefühl, die Postmoderne schließt sich mit magischen Praktiken kurz. Das Foto ist mehr als ein Foto, wird behauptet. Es zu zeigen,, das beschwört etwas Dunkles herauf, das durch ein Ritual diskursiv gebannt werden muss. Reichte es noch vor ein paar Jahren, einfach darauf hinzuweisen, dass man keine Gefühle verletzen möchte, weshalb man eine Triggerwarnung beifügte, wenn man etwas zeigte, das nicht für jeden war, müssen heute noch weitere Praktiken dazukommen. So will man wohl die Vergangenheit bannen und sie gleichzeitig lebendig halten, nämlich indem man die Fotos verdeckt.

Man kann der Moderne vieles vorwerfen. Zum Beispiel ihren naiven Glauben an den Fortschritt. Aber die Postmoderne scheint, so betrachtet, die Moderne nicht zu überwinden. Vielmehr führt sie zurück in die Vormoderne. Wer eher profan gestrickt ist, wird wohl festhalten: Abgebildet sind abgetrennte Köpfe von Menschen. Zu einer bestimmten Zeit glaubte man, mit den Fotos erfülle man wissenschaftliche Arbeit. Heute glaubt man das nicht mehr. Damit hätte es sich. Heute ist man dagegen überzeugt, wissenschaftlich wäre es, Fotos zu bestatten, um das Dunkle zu bannen und der Scheu zu entsprechen. Doch dabei vergisst man wohl, den tieferen Sinn von Bestattungen. Man möchte nicht, dass die Toten zurückkommen und begräbt sie deshalb. Und damit nichts schief geht, beschriftet man das Grab. Denn man möchte vor allem wissen, wo sie liegen, weil von ihnen durchaus Gefahr ausgeht. Irrationaler geht es allerdings kaum.

Christian Kümpel

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Die Wut-Sucht

Wut ist auch nur eine Sucht. Ich zumindest suche immer wieder im Internet Nachrichten, die mich triggern, wie man so schön sagt, damit ich schön wütend werde. Triggern heißt, dass die Meldungen etwas in mir auslösen, zum Beispiel Verärgerung oder Zorn. Aber auch Hohn, Verachtung und ähnliche Reaktionen kommen vor. Das geschieht bei mir zum Beispiel, wenn ich lese, dass bei Audi gegendert wird. Oder dass mal wieder jemand gecancelt wurde. Doch wie kommt es, dass ich, statt diese News zu vermeiden, sie stattdessen ständig nachfrage? Immerhin ist doch Wut angeblich kein gutes Gefühl. Da geht es mir genau so wie Linken und Linksliberalen. Denn auch sie lassen sich mit Vergnügen in Rage bringen. Zum Beispiel wenn jemand Zigeunerschnitzel sagt. Doch nochmal: Warum suchen wir alle Meldungen, die sich mit Gendern, LGTBQ und anderen Dingen auseinandersetzen, wenn sie uns so aufregen?

Die Antwort ist, Wut spricht das limbische System an, wo die Adrenalin-Ausschüttung stattfindet. Darüber hinaus kann Wut so ähnlichen zu einem High führen, so wie gefährliche Aktivitäten, zum Beispiel Felsklettern, Drogenkonsum oder hohe Geldeinsätze beim Spielen. In allen Fällen werden Dopamine ausgeschüttet. Das sind bekanntermaßen Glückshormone. Und so wird Wut bald ins Belohnungssystem eingespeist. Und irgendwann fangen wir an, süchtig nach Wut zu werden. Dann müssen wir unseren bald unseren Dealer fragen, ob er noch Stoff für uns hat, wenn die Wut nachlässt.

Natürlich helfen uns dann die Medien, damit uns das Dopamin nicht ausgeht. Facebook, Twitter und Co leben auch von unserer Wut. Wir selbst tun natürlich auch unseren Teil, die Sucht zu fördern, indem wir die Medien durch Aufmerksamkeit belohnen, was wiederum das System füttert. Es ist eben auch hier das gute alte System von Angebot und Nachfrage.

Doch auch wenn es Weinläden gibt, heißt es ja noch lange nicht, dass man das ganze Zeug im Geschäft auf einmal trinken muss. Vielmehr sollte gelten: Ein Glas Wein pro Tag ist in Ordnung. Das kann man genießen. Aber wenn man anfängt, nur noch den Wut-Kick zu suchen, verliert man sich. Und so kann man am der Stelle durchaus Yoda von Star Wars zitieren: „Zorn, Furcht, Aggressivität. Die dunklen Seiten der Macht sie sind. Besitz ergreifen sie leicht von dir.“ Wer also Herr im Haus der Gefühle bleiben will, der sollte daher darauf achten, sich nicht zu sehr der Sucht hinzugeben. Auch nicht der Wut-Sucht.

Christian Kümpel

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Don´t mention the N-Word

Sarah Kuttner konnte wohl nicht anders. Sie wissen schon. Hier der Bericht des RND: „Kuttner, Bauerfeind und Hielscher unterhielten sich in der kürzlich veröffentlichten Folge unter anderem über das Verbot von Worten im deutschen Sprachgebrauch. Kuttner sagte in diesem Zusammenhang, sie sei generell kein Fan von Worten, die man nicht mehr sagen darf. Natürlich wolle sie damit nicht Menschen aktiv verletzten, jedoch empfinde die 43-Jährige es als „superschwierig“, dass man Begriffe wie etwa das N-Wort nicht mehr verwenden darf. Dabei reproduzierte sie den Begriff mehrfach. In der veröffentlichten Folge wurde dieser zwar durch einen Piepton unkenntlich gemacht, im Zusammenhang wird aber deutlich, dass die frühere Viva-Moderatorin das N-Wort mehrfach reproduziert hatte – was entsprechend große Kritik in den sozialen Medien auslöste.“

Darauf ging es so weiter, wie es immer weitergeht in diesem Twitterland. Empörung, Entschuldigung, Noch mehr Empörung. Langweilig. Viel interessanter ist, zu erfahren, warum wir so gerne Wörter benutzen, die verboten sind. So wie es Kuttner tat. Zunächst einmal gibt es die Tabus. Zum Beispiel die Sprachtabus. Das sagt man nicht, heißt es. Sie sind die Grundvoraussetzungen. Tabus müssen übrigens nichts Schlechtes sein. Immerhin finden wir alle, dass man nun nicht unbedingt alles sagen muss, was man denkt. Es ist auf jeden Fall erst mal nicht schlecht, dass man nicht überall irgendwelche Sachen sagt, die andere verletzen. Doch das Problem ist: Wer bestimmt, was verletzt? Du oder ich? Oder wir alle?

Davon abgesehen, werden Tabus immer wieder übertreten. Zum einen, weil man nicht weiß, dass es dieses Tabu gibt. Dann spricht man von einem Fauxpas. Darauf kann sich Kuttner aber kaum berufen. Sie wusste genau, was sie da sagte.

Dann gibt es diese Obsession mit Tabus. Sagt man jemand, dass er eine Sache nicht denken darf, dann sorgt man mit Sicherheit dafür, dass er ständig daran denkt. Und endlich vielleicht sogar ausspricht. Vielleicht war es das bei Kuttner? Schließlich sind Tabus auch interessant, weil man so herrlich provozieren kann, wenn man sie bricht. Anders gesagt: Man nimmt sich die Macht zurück, die einem genommen wurde. Man kennt das ja von Kindern. Wenn man ihnen das K-Wort, dann werden sie es lustvoll immer wieder herausschreien. Das K-Wort steht hier für das, was man in der Toilette versenkt.

Ja, es geht eben fast immer um Macht. Und wenn jemand diese eingrenzen will, dann werden die Grenzen getestet. So lautet das ewige Gesetz. Ging es Kuttner darum? Jedenfalls hat sie versucht, der Freiheit das Wort zu reden, und musste lernen, dass die Twitter-Gemeinde sich die Herrschaft nicht nehmen lässt. Kuttner hat dabei mit offenem Visier gestritten. Das war ehrenhaft, aber meiner Meinung nach ein Fehler. Denn wenn man ein Tabu aushebeln und es gleichzeitig bestehen lassen will, dann am besten mit Ironie. In eher repressiven Gesellschaften das Mittel der Wahl. Bei Ironie kommt man einem nicht so schnell auf die Schliche. Sie hätte zum Beispiel sagen können: “Das Wort Neger kommt nicht über meine Lippen.” Schwupps hätte sich Freiheiten genommen und gleichzeitig das Tabu bestehen lassen. Die Lacher hätte sie dabei vermutlich auch auf ihrer Seite gehabt. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass man sich befreit fühlt.

Christian Kümpel

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Trugschluss

Auch wenn das Monitor, das linke Sturmgeschütz der ARD, es gerne so hätte, die Konservativen lassen sich nicht so einfach über einen Kamm scheren. Richtig ist, dass Putin und seine Schergen wenig Verständnis für LGTBQ haben. Wer sich zu seiner Homosexualität bekennt, hat es in Russland nicht leicht, um es milde auszudrücken. Das heißt jedoch nicht, dass nun jeder LGTBQ-Kritiker in Deutschland für Putin wäre.

Gerne wirft man alles in einen Topf, um daraus eine stinkende Brühe zu kochen. Das ist nichts Neues. In diesem Fall geht es so: Putin ist gegen etwas. X, Y und Z auch. Deshalb müssen sie auch sonst für Putin sein. Dieses Prinzip heißt Schuld durch Trugschluss. Hier ein Beispiel: Peter ist ein Mörder. Peter hat blaue Augen. Also sind Leute mit blauen Augen Mörder. Ein Trugschluss. Und weil Menschen nun mal so sind, wie sie sind, funktioniert das meistens ganz gut. So hat Donald Trump nach dem Giftanschlag auf Nawalny durchaus zu Recht gemeint, dass Nordstream II eingestellt gehört. Na, da war was los in Deutschland, als er sich so vernehmen ließ. Weil das von Trump kam, hatte der Vorschlag daher keine Chance. Er wurde nicht mal diskutiert. Heiko Maas, der damalige Außenminister lachte nur darüber.

Weil das Prinzip also prächtig funktioniert, wird man Konservative immer gerne mit Nazis, Putin oder Trump in Verbindung bringen, um ihre Ideen und Ansichten zu diskreditieren. Umso wichtiger ist es, dass sie deshalb darauf achten, sich von Übelmännern fern zu halten. Das gilt für Trump wie für Putin. Doch dabei dürfen sie nicht ihre eigenen Überzeugungen aufzugeben, nur weil Dunkelmänner sie auch haben.

Übrigens gilt auch das umgekehrte Prinzip. Jemand, der Respekt genießt, äußert eine Meinung, die durchaus unvernünftig und dumm sein kann. Aber weil sie von ihm kommt, wird sie beachtet und sogar angenommen. Das ist ebenfalls zu hinterfragen. Im Prinzip sollte klar sein: Wer im Hinblick auf Putin richtig liegt, kann trotzdem in der Genderpolitik falsch liegen. Jede Sache muss für sich betrachtet werden.

Es ist halt alles nicht so einfach, um mit einer Binse zu schließen. Aber am Ende bleibt nichts anderes übrig, als sich auch mal zwischen allen Stühlen zu setzen, wenn man sich treu bleiben möchte. Und vor allem muss man immer wieder darauf hinweisen, dass, nur weil Putin ein Ungeheuer ist, die LGTBQ-Ideologie trotzdem hinterfragt werden darf.

Christian Kümpel

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Zauberworte

Was macht man, wenn einem die Meinung eines anderen nicht gefällt? Und kommen Sie mir jetzt nicht mit Widersprechen. Besser ist, die Person mundtot zu machen, denken viele. Das kommt deshalb heutzutage immer häufiger vor, obwohl man ständig das Wort Toleranz hört. Die gilt auch, aber immer nur, wenn es um die eigene Meinung geht. Und Toleranz hat natürlich Grenzen, die nicht der Staat, sondern jetzt Gruppen festlegen, sogenannte zivilgesellschaftliche Agenten, Beauftragte, Vigilanten. Die ändern die Parameter schnell und gründlich. Was machen die also, wenn hier jemand mit irgendwelchen eigenwilligen Ansichten kommt, weil er gerade mal nicht aufgepasst hat?

Wenn jemand etwas anderes von sich gibt, als diesen Gruppen genehm ist, stehen Zauberworte, magische Wendungen und anderes zur Verfügung, um ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Man sage zum Beispiel menschenverachtend, homophob oder rechts. Simsalabim, sofort verstimmen die anderen wie von Zauberhand. Das funktioniert meistens sehr gut. Und da muss auch nichts erklärt werden. Da muss nicht argumentiert werden. Da muss vor allem keine Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.

Zum Beispiel forderte die JU Rheinland-Pfalz lieber saubere Toiletten als Toiletten für ein Drittes Geschlecht – was immer das sein soll. Sven Lehmann (he/er), Queer-Beauftragter der Bundesregierung, nannte das menschenverachtend. Es wäre eine Entschuldigung fällig. Darauf verfällt der Meinungsgeber meist in Schweigen. Manche finden da nie wieder ihre Zunge zurück. Der Zauber wirkt.

Menschenverachtend heißt ja eigentlich, dass man durch Taten oder Worte die Würde des Menschen grob verletzt. Zynische Bemerkungen sind also gemeint. Doch was ist nun zynisch daran, zu meinen, sauberer Toiletten sind wichtiger als eine dritte Toilette für sogenannte queere Personen, die vermutlich auch bald schmutzig ist, wenn man schon zwei Toilettenarten nicht sauber kriegt? Soll damit gesagt werden, dass sogenannte queere Menschen nicht auf die Toilette gehen dürfen? Natürlich dürfen sie das weiterhin. Und wäre es denn menschenverachtend, wenn man nur eine Toilette für alle fordert? Immerhin könnte das gegen Frauen gerichtet sein. Oder gegen Männer. Egal. Wichtig ist, dass Lehmann hier eine andere Meinung hat und die andere nicht mehr hören möchte. Und da spricht man eben das Wort.

Was jedoch überrascht ist, dass das überhaupt funktioniert, obwohl wir uns doch als aufgeklärt bezeichnen. Da müsste man doch die Mechanismen des Zaubers durchschauen. Ja, es sind heute andere magische Worte sind als früher. In der Sowjetunion waren diese: Klassenfeind, Faschist oder Diversant. Bei den Nazis waren es: verjudet, Bolschewist oder Volksfeind. Bei den Christen gab es auch solche Worte. Hexe, Teufel oder – wenn man protestantisch war – papistisch. Selbst die Amis kannten Bezeichnungen, die jeden erstarren ließen. McCarthy machte es möglich. Heutzutage ist es eben das Wort menschenfeindlich. Doch was ist denn nun mit dem Aufgeklärtsein oder dem Abgeklärtsein? Ach, wir sind wohl immer noch der alte Adam. Oder anders gesagt: Wir sind offensichtlich so aufgeklärt wie vor 80 Jahren oder 800 Jahren. Wenn das richtige Wort fällt, dann erstarren wir heute so wie früher.

Christian Kümpel

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Kolonialismus und Postkolonialismus

Man kann sicher darüber streiten, ob der Kolonialismus auch gute Seiten hatte. Aber man sollte in jedem Fall so ehrlich sein zuzugeben, dass der Kolonialismus in Afrika nicht viel mit Menschenliebe zu tun hatte. Es ging im dortigen Herrschaftskolonialismus im Wesentlichen darum, Gebiete zu kontrollieren, um sie wirtschaftlich nutzbar zu machen. Das geschah oft unter extrem brutalen Umständen. Dass der Kolonialismus dort keine Zukunft hatte, hat aus meiner Sicht daher eher was mit Nutzen und Kosten zu tun. Am Ende waren die sogenannten Mutterländer nicht mehr willens für ein paar Kolonisten und den geringen Profit viele militärische Ressourcen einzusetzen.

In Kanada mit dem Siedlungskolonialismus verhielt es sich zwar anders als in Belgisch-Kongo. Das soll nicht heißen, dass die Indianer nicht furchtbar gelitten hätten. Die Schwarzen im Kongo wurden allerdings in Größenordnungen massakriert, die den Gräuel des Zweiten Weltkriegs in nichts nachstehen. Schließlich muss noch erwähnt werden, dass der Westen nicht der Erfinder des Systems von Ausbeutung war. Vor ihm versklavten Muslime Millionen. Davor versklavten die Römer die Besiegten. Das war auch nicht gerade nett, nach heutigen Maßstäben. Heutige Maßstäbe – auch des Humanismus – gelten allerdings wohl auch, weil wir dafür die Natur ausbeuten. Das hat auch seine Schattenseiten, wie man sieht.

Eine ganz andere Frage ist allerdings, ob man nun alle Fehlentwicklungen in Afrika dem Kolonialismus ankreiden sollte. Das kann man tun, wenn man glaubt, dass historische Fakten ein Land zu einem bestimmten Weg verdammen. Dagegen spricht allerdings, dass manche Länder, die grausame Kolonialherren erlitten und furchtbare Kriege durchmachten, sich prächtig entwickeln. Zum Beispiel Südkorea, eine ehemalige Kolonie Japans. Es spricht auch einiges dafür, dass man die ehemaligen Kolonialherren nicht braucht, um zu erklären, was im Süden schief läuft. Von Idi Amin bis Robert Mugabe, von Mali bis Süd Afrika; Afrika kann sich auch ganz alleine kaputt machen.

Doch mit dieser Frage beschäftigt sich der Postkolonialismus nicht. Oder wenig. Er will vor allem die Frage klären, was am Ende der Kolonialära mit dem kolonialistischen Denken geschah. Er behauptet, das Denken wäre noch so wie früher, rassistisch, überheblich und ausbeuterisch, was den Westen betrifft. Wir bräuchten deshalb eine Art Gehirnreinigung. Diese Vorstellung ist in der Tat ideal, und zwar für die Ausbeuter und Verbrecher im Süden. Aber sie ist auch gar nicht mal so unbequem für uns. Denn statt Probleme anzusprechen, die schwierig oder sogar unlösbar sind, könnte man nun durch Bewusstseinsveränderung im Westen Afrikas Probleme in den Griff kriegen. Das hört sich nicht nur esoterisch an. Das ist es vermutlich auch. Und es ist natürlich kontraproduktiv.

So wie gewisse muslimische Kreise hierzulande eine Islamophobie geradezu herbeischreiben, um den Blick von den Irrtümern und Fehlern in vielen muslimischen Ländern oder auch von der muslimischen Community zu lenken, so sorgt die postkoloniale Philosophie dafür, dass man die eigentlichen Fragen zu wenig anspricht, die angesprochen gehören. Dazu gehört auch, dass Strukturen entscheidend dafür sind, ob ein Land prosperiert oder nicht. Die Vergangenheit ist dagegen eher unwichtig. Denn die Vergangenheit ist in einer Zeit der ständigen Transformation kaum noch ein Faktor.

Insofern ist der Postkolonialismus, der alle Verantwortung bei den ehemaligen Kolonialherren sieht und von ihnen eine Bewusstseinsveränderung verlangt – wer sagt, wann die ausreichend stattgefunden hat – schädlich für die Länder des Südens. Denn nur wer ehrlich nach eigener Verantwortung fragt und wer geeignete Strukturen schafft, um Prosperität herzustellen, gewinnt. Man sollte deshalb aufhören, diese Fakten zu verunklaren, und zwar durch Postkolonialismus.

Ansonsten entsteht dauerhaft dasselbe ungute Gefühl, dass man bei einem alternden Mann hat, der immer jammert, seine Eltern seien dafür verantwortlich, dass aus ihm nichts geworden ist. Er hat es vermutlich abgelehnt, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und benutzt nun die Eltern als Ausrede. Manche Verwandte bestärkten ihn sogar noch und fühlen sich gut dabei. Sozusagen moralisch höherwertig. Auch die sehr alten Eltern machen sich ständig Vorwürfe. Ändern tut es aber gar nichts. Der Mann bleibt ein Versager.

Christian Kümpel

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Hurra, wir sind beleidigt

Vor noch gar nicht langer Zeit galt Resilienz als höchste Tugend. Resilienz ist die sehr positive Eigenschaft trotz aller Gemeinheiten, die das Leben für einen bereit hält, klarzukommen. Man lässt sich eben nicht unterkriegen und hält was aus. Doch das war gestern. Heute gilt es, nicht nur empfindsam zu sein. Am besten man ist gleich schwer beleidigt. Warum?

Der bekannte französische Schriftsteller Henry de Montherlant fand darauf eine mögliche Antwort.  Er stellte fest: „Kränkungen haben ihr Gutes, sie setzen einen ins Recht.“ Das soll heißen, dass man, wenn man beleidigt wird, durchaus übel zurückkeilen kann, ohne verurteilt zu werden. Man hat sozusagen nach einer Beleidigung die Lizenz, den anderen anzugehen, um einen Ausgleich herzustellen. Dafür gibt es dann viel Verständnis und man darf auch schon mal unsachlich werden, denn es geht um Gefühle. Die sind heilig.

So muss in der Sache dann auch nicht mehr gestritten werden. Jüngstes Beispiel: Im Namen einer sozusagen beleidigten Gruppe wurde darauf verwiesen, dass Wissenschaftler nicht nur transfeindlich, sondern menschenfeindlich wären, weil diese ja behaupteten, im Fernsehen werde die Genderdiskussion falsch geführt. So geschehen in der eigentlich konservativen Zeitung „die Welt“ durch den Queer-Beauftragten Sven Lehmann. Dafür gab es dann auch noch Verständnis. Doch waren die Aussagen der Wissenschaftler eine Beleidigung? Und selbst wenn, rechtfertigen sie dieses Zurückkeilen? Und wer entscheidet darüber, wer beleidigt worden ist.

Man kann hier mit Carl Schmitt feststellen: Souverän ist, wer darüber entscheiden kann, ob eine Beleidigung stattgefunden hat. Und das kann zum Beispiel Sven Lehmann sozusagen im Auftrag der Bundesrepublik. Aber auch selbsterklärte Aktivisten dürfen nach ihren selbstgestrickten Kriterien entscheiden, wann ein Insult vorliegt.

Es hat also diskurspolitische Vorteile mit antrainierter Empörung – alles ist Konditionierung sagen Biologen – den anderen moralisch ins Eck zu stellen, weil man selbst oder sensible Gruppen schwer getroffen wären. Ist es da ein Wunder, dass man nun geradezu manisch nach Anlässen sucht, um sich kränken zu lassen? Oder um sich vor vermeintliche Opfer von Kränkungen zu stellen, was ja dann auch noch den Benifit hat, als Retter zu erscheinen?

Allerdings erinnert das Ganze doch fatal an die Skandale um die Mohammed-Karikatur. Da waren harmlose Bildchen für so manchen auch ein Anlass, sich mächtig aufzuspielen. Und schnell verschwanden diese dann auch aus der Öffentlichkeit. So geht es zu im Orient und jetzt auch im Okzident.

Da kann man durchaus feststellen, dass der Westen asiatischer geworden ist. Denn Ehre, Beleidigungen und Kränkungen, das sind Kategorien atavistischer Kulturen wie sie in Asien blühen, bei uns aber eigentlich eher keine große Rolle mehr spielten. Bis jetzt. Die Identity Policy hat aber diese Verhältnisse nun durch die Hintertür wieder eingeführt. Am Ende haben wir die gern zitierte Was-kuckst-du-Kultur auf allen Ebenen. Und natürlich auch viele „U-Bahnfahrer“, die angesichts der Bedrohung lieber keinen Blickkontakt mehr suchen aus Angst der taktisch eingesetzten Empörung anheimzufallen.

Christian Kümpel

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Der Liberalismus verzehrt sich selber

Arnold Gehlen, der berühmte deutsche Philosoph, hat darauf hingewiesen, dass der Mensch als Mängelwesen Institutionen braucht, die ihm das Überleben möglich machen. Ob Familie, Staat oder Gesellschaft, der Mensch benötigt Strukturen, die er nicht hinterfragt, damit er existieren kann. Warum ist das so? Das liegt nach Gehlen daran, dass der Mensch im Gegensatz zum Tier weltoffen ist. Er kennt kaum Instinkte, kann aber alles aufnehmen, alles glauben und alles denken. Allerdings auch jeden Unsinn. Dieser Nachteil der extremen Weltoffenheit muss ausgeglichen werden, indem man eine Welt schafft, die einen Rahmen vorgibt, in dem sich der Mensch entwickeln kann, wie bei einer Kletterpflanze, die eine Rankhilfe braucht, um nach oben zu wachsen. Gibt es diese Hilfe nicht, dann verkümmert der Mensch.

Der Liberalismus sieht das ganz anders. Er würde behaupten, dass der Mensch schon selbst am besten weiß, was er braucht. Institutionen, die ja auch einschränken und einen Menschen bedrücken, werden im Prinzip nur soweit akzeptiert, wie sie der Entfaltung des einzelnen nicht im Wege stehen. Als Grenze der Handlungsfreiheit wird nur die Handlungsfreiheit anderer gesehen. Kurz gesagt: Tu, was du willst, solange du andere nicht schädigst. Das ist die liberale Devise.

Dazu gehört, dass man nicht nur so schnell auf der Autobahn fahren kann, wie man möchte. Dazu gehört vor allem, dass man den Partner wechselt, wie man möchte, durch die Gegend fliegt, überall und nirgends zu Hause ist und natürlich jetzt auch sein Geschlecht ändert, wenn es beliebt.

Es gilt als Maxime: Lustgewinn ist gut. Unlustvermeidung auch. Das hört sich in der Tat sehr verführerisch an. Und zur Verführung sagt man selten nein. Der Preis des Liberalismus ist allerdings hoch, selbst wenn man die ökologischen Kosten dieser liberalen Gesellschaft nicht mitberücksichtigt. Kinder sind verwirrt, Erwachsene nicht minder, immer mehr Menschen greifen zu Drogen und Medikamenten, um sich zu stabilisieren. Familien lösen sich auf. Psychologen haben alle Hände voll zu tun. Kein Wunder. Denn der Mensch will die Freiheit, sie tut ihm aber nicht immer gut. Er braucht eben den Rahmen, die Institutionen, die seine Freiheit einschränken. Da diese aber in Auflösung sind, gibt es Ausfälle.  

Statt nun die Kosten des Liberalismus zu benennen, werden die Kosten jetzt sogar zum Teil der Freiheitserzählung. Kinder und Jugendliche, die unsicher sind, was ihre Sexualität betrifft, wird eingeredet, man könne das Geschlecht wechseln wie ein Hemd. Leute, die drogenabhängig sind, weil sie in dieser Gesellschaft nicht klarkommen, sollen noch besser an Drogen kommen, damit sie noch freier werden. Und Kinder sollen selbst entscheiden, was sie im Unterricht durchnehmen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Bald wird man sehen, wie unglücklich das viele macht.

Der Liberalismus ist sicher keine schlechte Sache für diejenigen, die inneren Halt haben. Für viele andere wird der Liberalismus langsam gefährlich. Denn Kinder und Jugendliche sind verwirrt. Und Drogensüchtigen wird nicht nur nicht geholfen, sie kriegen die Drogen frei Haus. Fettsüchtige werden zu Freiheitshelden, statt dass man ihr Problem benennt. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Was aber am Ende passieren könnte: Der Liberalismus wird grundsätzlich abgelehnt, weil zu viele Menschen durch ihn zu Schaden kommen.

Doch eins sollte man wissen, bevor man ihn ganz abschafft. Rigide hochmoralische Institutionen, die den Menschen ganz einnehmen, sind auch nicht ganz ohne Nebenwirkungen. Freiheit braucht zwar Grenzen. Aber ohne Freiheit, das wissen wir aus der Geschichte, kommt der Machtmissbrauch. Ganz konkret: In Putins Russland lebt man ohne Freiheit auch nicht gut. Außerdem ist das Land eine einzige Gefahr für andere.

Es sieht, wenn man das bedenkt, ganz so aus, als ob unsere moderne Existenz tragisch zwischen diesen Polen pendelt, nämlich zu viel Freiheit und zu viel Unfreiheit, ohne eine Balance zu finden. Das ist vielleicht, was man als Verlust der Mitte bezeichnen könnte. Der Liberalismus aber will niemals ein Gleichgewicht. Das macht ihn auch gefährlich.

Christian Kümpel

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Rinks und lechts

In der FAS vom letzten Sonntag wird noch einmal nach den Veränderungen in der Parteienlandschaft gefragt. Vor allem wird diskutiert, welche Parameter für die neue Lage verantwortlich sind. Herbert Kitschelt und Phillip Rehm beschränken sich dabei laut Boris Holzer auf zwei Faktoren: Bildung und Einkommen. Als Begründung geben sie an, dass andere Faktoren eng mit diesen korrelieren. Zum Beispiel hängen religiöse Überzeugen auch sehr stark von der sozio-ökonomischen Lage ab. Wenn man sich jedenfalls auf diese Kriterien einlässt, dann ergibt sich folgendes Bild:

Früher waren die Einkommensschwachen und Bildungsschwachen eher gewillt, linke Parteien zu wählen. Bildungsstarke mit hohem Einkommen wählten dagegen konservative Parteien. Dies natürlich alles grosso modo. Durch die Bildungsexpansion wuchs jedoch Gruppe der Bildungsgewinner, die jedoch nicht unbedingt Spitzengehälter erzielten, an. Mit ihnen rückte die Bildungselite nach links. Im Gegenzug fanden sich die Bildungsschwachen bald im rechten Lager wieder. Sie sind eher autoritär geprägt und wählen zum Beispiel Trump, weil Verteilungsfragen der Identitätspolitik gewichen sind. Anders gesagt: Die Demokraten werden die Partei der Bildungsgewinner, die Republikaner die Partei der Nichtakademiker. Oder, bundesrepublikanisch übersetzt, es werden die Grünen die Partei der Akademiker, die AfD wird dagegen die Partei der Nichtakademiker.

Das ist ein Dilemma für die klassische Arbeitergruppe. Ihnen ging es nur um Umverteilung. Die neue Linke will dagegen Gendergerechtigkeit. Auch das klassische bürgerliche Publikum findet sich nur in den ökonomischen Programmen der neuen Rechte wieder. Das Autoritär-Populistische ist ihnen aber eher unangenehm. Fazit: Die größten Fans des Linksliberalen sind eher mäßig verdienende Akademiker, während die Freunde der Rechten bei den besser verdienenden Nichtakademikern Punkten können. Eine Verkehrung der Verhältnisse, möchte man meinen.

Diejenigen, die sich nun Umverteilung, aber wenig Liberalisierung wünschen, fallen durch den Rost. Frau Wagenknecht und Konsorten mahnen daher immer wieder an, die Identitätspolitik fallen zu lassen, weil sie auf das Neobürgertum zugeschnitten ist. Das ists sozusagen der Klassenfeind. Allerdings wohl vergeblich. Denn die neue Linke verachtet die bildungsschwachen Freunde des Autoritären, die gerne starken Männer folgen. Sie erkennen in ihnen keine Verbündeten, sondern Feinde, die bekämpft werden müssen. Hätte sich das ein Karl Marx träumen lassen?

Wer nun meint, das Sein bestimme das Bewusstsein, der wird jedenfalls enttäuscht zur Kenntnis nehmen müssen, dass nicht so sehr die ökomische Lage als die Bildungsschicht heute darüber entscheidet, wo man politisch steht. Mit der bald anstehenden Krise kann sich das natürlich schnell wieder ändern. Denn Verteilungsfragen können dann wieder zu einem neuen Muster führen, zum Beispiel arme Akademiker und arme Nichtakademiker vereint gegen wenigen verbliebenden Reichen oder den Staat. Wie auch immer es kommen mag, am Ende heißt es jedenfalls immer die Einen gegen die Anderen. Wofür sie jeweils stehen ist dabei austauschbar.

Christian Kümpel