Bin ich, was ich fühle?

Jeder Mensch kann tut, was er will. Aber er kann nicht wollen, was er will. Dieser Gedanke ist von Schopenhauer. Er meint damit, dass unsere Freiheit irgendwie auf Sand gebaut ist. Anders gesagt: Wir fühlen uns frei, aber wir sind es nicht. Darum spricht man ungerne darüber, warum man will, was man will.

Und wie steht es um das Gefühl? Ist das einfach so da? Oder gibt es Voraussetzungen für die Gefühle?

Fühlen ist zurzeit ganz groß in Mode. Man hat daher den Eindruck, der Mensch wäre nicht Geschöpf der Umwelt, der Sozialisation oder gar der Institutionen. Vielmehr scheint er nun die Summe seiner Gefühle zu sein. Und so geschieht es, dass eine Person, die aussieht wie ein Mann, die erzogen wurde wie ein Mann und die grundsätzlich wie ein Mann behandelt wurde, tatsächlich eine Frau wäre, wenn er entsprechend fühlt.

Nun gab es ja mal eine Zeit, da hieß es: Trau deinen Gefühlen nicht allzu sehr, halte Distanz zu deinen Gefühlen. Sie täuschen dich leicht. Man konnte sogar Gefühle vortäuschen, um sich Vorteile zu verschaffen. Das erweckte Misstrauen. Kurz: Gefühle hatten zumindest einen zweifelhaften Ruf. Deshalb hieß es sogar noch in den 80igern, man solle möglichst cool daherkommen. Diese gefühlige, sentimentale und honigartige Art der Hippies war verpönt. Dieser Betroffenheitspathos erschien lächerlich. Da hat sich was verändert. Jetzt heißt es: Stell bloß meine Gefühle nicht in Frage. Denn ich bin, was ich fühle.

Gefühle kommen aber vermutlich nicht einfach so daher. Sie haben Auslöser. Was löst dann aber das Gefühl aus, eine Frau zu sein, obwohl man ein Mann ist? Es könnte sein, dass man gerne etwas Besonders wäre. Die Eitelkeit, der Wunsch besonders zu sein und der Zwang seine Individualität möglichst drastisch auszuleben, könnte zu Gefühlen fühlen, die man so gar nicht in sich vermutete. Sicher kennt man auch das schöne Gefühl, andere zu schocken. Es verleiht Macht. Schließlich können bestimmte Gefühle auch von Moden ausgelöst werden, die in den Sozialen Medien transportiert werden. Die Gründe für bestimmte Gefühle sind also mannigfach. In Frage gestellt werden, dürfen sie aber jetzt aber nicht mehr. Denn Gefühle wären authentisch, heißt es. Und authentisch, das bedeutet heutzutage, das kann nicht hinterfragt werden. Soll das heißen, man darf eigentlich über alles reden, aber nicht mehr über die Ursache meiner Gefühle? Dann hätte Schopenhauer in der Tat recht, auch was Gefühle betrifft.

Christian Kümpel

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