This is Africa

Wir alle haben so unsere Vorstellungen von Afrika. Mein Eindruck von dem Kontinent: Er ist korrupt, abergläubisch und kriminell. Aber was weiß ich schon! Unsere Eliten scheinen in jedem Fall eine ganz andere Sichtweise auf Afrika zu haben. Wie ist es sonst zu erklären, dass das Weltkulturerbe der„Benin-Bonzen“ nach Nigeria gegeben wird?

Mit so einem Erbe sollte man eigentlich behutsam umgehen. Sehen die deutschen Eliten die „Köpfe“ also in Afrika gut aufgehoben? Wenn ja, dann sollten sie mal lesen, was Brigitta Hauser- Schäublin, ehemalige Ethnologin, in der FAZ schreibt. Doch man will vermutlich nicht alles so ganz wissen, wenn die Fakten nicht in das woke Narrativ passen.

Was schreibt sie denn? Zunächst einmal existiert der Räuber- und Sklavenstaat Benin nicht mehr, weshalb sich die Frage stellt, an wen man da zurückgibt. Benin selbst lebte von der Versklavung und dem Verkauf von Menschen. Seine Vernichtung durch die Briten wurde vor mehr als 120 Jahre als richtig angesehen. Der Vergleich wäre versuchsweise folgender: Die USA geben Deutschland Nazi-Kunst zurück, die von KZ-Häftlingen finanziert wurde, mit der Begründung, es handele sich um Beutekunst. Hört sich krass an? Nun, die Bronzen-Köpfe wurden nur durch den Sklavenhandel ermöglicht. Da darf man diesen Vergleich wohl wagen.

Und schon scheint die Rückgabe nicht mehr so ganz hochmoralisch daherzukommen. Kein Wunder, dass insbesondere die Nachkommen der Sklaven in den USA, den Nachkommen der Opfer Benins, gegen die Rückgabe Einwände haben. Ich vermute mal, dass die Urenkel von KZ-Häftlingen auch eher verärgert reagieren würden, wenn Nazikunst zurückgeben werden sollte, das ihre Großeltern finanziert haben. Vielleicht noch mit der Begründung, das wäre Beutekunst.

Andererseits ist das alles ja auch nur temporär. Denn lange werden die Bronzen sowieso in Nigeria verweilen. Wie Häuser-Schäublin in ihren Artikel in der FAZ ausführt, verschwinden die meisten Artefakte relativ schnell wieder aus den Museen Afrikas. Dann landen sie auf dem illegalen Kunstmarkt. Warum? Die meisten Nigerianer können mit den Sachen wohl wenig anfangen. Sie haben in Afrika auch eher kein Verständnis für Museen und museale Kunst. Afrikaner haben meist andere Sorgen. Die ersten Sammlungen wurden folgerichtig deshalb von Weißen in Afrika eingerichtet. Und später übergeben.  

Leider hatte und hat man in Nigeria aber eine andere Auffassung von wissenschaftlicher Arbeit, weshalb die Katalogisierung der Kunstwerke nicht so recht klappen will. Jedenfalls nicht nach europäischen Maßstäben. Deshalb weiß man eigentlich gar nicht so genau, was da noch im Bestand ist. Den Rest erledigen die Korruption und die Neigung zum Klauen. Nur mal so ein Beispiel von vielen aus dem Artikel: Zwischen 1950 und 1960 hat das British Museum 54 Reliefplatten zu einem Bruchteil des Marktpreises an Nigeria, dem Nachfolgestaat Benins, verkauft. Davon gibt es nach Angaben der Benin Datenbank aktuell noch zwei, also weniger als fünf Prozent.

Kriminelle Syndikate, so die Ethnologin in der FAZ, sorgen jedenfalls dafür, dass der Nachschub für Privatsammler nicht ausgeht. Was aber den europäischen und US-amerikanischen Kollektor freut, ist nicht gut für das Welterbe, wenn es von der „Welt“ gesehen werden soll. Denn Privatsammlungen von solcher Art Kunst bleiben meist privat.

Um die Wahrheit zu sagen, die Köpfe sind mir vollkommen egal. Doch anscheinend bin ich nicht der Einzige. Den deutschen woken Eliten ist es nämlich auch schnuppe, was mit den Sachen passiert. Ihnen ist wichtig, dass sie sich moralisch aufplustern können. Vermutlich ist das ihre größte kulturelle Leidenschaft. Nach der Übergabe der „Beutekunst“ an Nigeria können diese dann jedenfalls dem Vergessen anheimfallen.

Christian Kümpel

Bild: WikimediaImages auf Pixabay

Auch wir haben eine Identität

Aydan Özoğuz, die ehemalige Beauftragte für Flüchtlinge, Migration und Integration brachte es auf den Punkt: „… eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar.“ Sie meinte damit, so verstehe ich es jedenfalls, dass in einem Land, wo Deutsche türkisch, russisch und arabisch denken und fühlen, es eigentlich nichts mehr gibt, was noch speziell deutsch wäre. Und es stimmt ja auch: Wenn alles deutsch ist, ist eben nichts mehr deutsch. Wenn man nun Deutschland als Volk der unspezifischen Kultur beschreibt, so sollte man jedoch den Deutschen mit türkischen, russischen und arabischen Wurzeln eine besondere Kultur nicht absprechen. Und das würde Özoğuz auch nie tun. Doch was ist mit dieser anderen Gruppe, die keinen Migrationshintergrund vorweisen kann? Was macht die eigentlich aus? Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah, zwei Künstler aus Deutschland, haben hier einen Begriff geschaffen, der die begrifflichen Nebel hebt und unsere Identität ins helle, oder besser grelle Licht stellt: Nazihintergrund. Dieser Begriff verdeutlicht, dass eine Gruppe in diesem Land eine bestimmte Herkunft hat, die nicht geteilt werden kann und wahrscheinlich auch nicht geteilt werden soll. Nun heißt es schon seit Jahren, dass die 12 Jahre für immer prägen, egal wie viel Zeit vergeht. Es heißt auch, dass das neue Deutschland, die Bundesrepublik, sozusagen der Gegenentwurf zu Nazideutschland sei. Es gehe darum, sich zu Verantwortung für diese Zeit zu bekennen. Und so ist es tatsächlich gelungen, ein neues Wir zu schaffen: Deutsch sein, heißt anzuerkennen, dass es immer darum gehen muss, dies Nazi-Zeit fruchtbar zu machen, indem man einen Gegenentwurf lebt, der allerdings immer mit der Vergangenheit verbunden ist. Nazi-Deutschland wird so der Ausgangspunkt von allem, was Deutschland heute ausmacht und immer schon dadurch ein Teil davon, so wie bei der Muschel eine Perle wächst, die das Üble sozusagen umhüllt und verschönert, wobei das Üble eben nicht vergeht, sondern ein Teil der Perle bleibt. Moshtari Hilal und Sinthujan Vratharajah haben nun diese deutsche Geschichtsphilosophie beim Wort genommen und erkannt, was dieses Menschen hier ausmacht. Und darüber kann sich eigentlich niemand empören, der jahrelang diese Form der Identitätsbildung in Form von Vergangenheit als Dauerauftrag das Wort geredet hat. Die Deutschen – allerdings nur die, die schon länger hier leben – sind die Nachfahren der Nazis. Für Deutsche mit Migrationshintergrund tut sich da eine Chance auf. Sie können die Deutschen ohne Nazihintergrund sein. Und das ist eigentlich schon genug, um als Lichtgestalt zu erscheinen. Doch auch für uns andere, sozusagen die Kinder und Enkel der Nazis, hat die Bezeichnung seine guten Seiten. Wir haben vielleicht unsere Kultur verloren und leben im Unbestimmten. Aber wir wissen nun, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund noch so bemühen können, so wie wir können sie niemals werden. Denn in den Club der Menschen mit Nazihintergrund kann man nicht eintreten außer durch Herkunft. 

Bild: PDPics