Hurra, wir sind beleidigt

Vor noch gar nicht langer Zeit galt Resilienz als höchste Tugend. Resilienz ist die sehr positive Eigenschaft trotz aller Gemeinheiten, die das Leben für einen bereit hält, klarzukommen. Man lässt sich eben nicht unterkriegen und hält was aus. Doch das war gestern. Heute gilt es, nicht nur empfindsam zu sein. Am besten man ist gleich schwer beleidigt. Warum?

Der bekannte französische Schriftsteller Henry de Montherlant fand darauf eine mögliche Antwort.  Er stellte fest: „Kränkungen haben ihr Gutes, sie setzen einen ins Recht.“ Das soll heißen, dass man, wenn man beleidigt wird, durchaus übel zurückkeilen kann, ohne verurteilt zu werden. Man hat sozusagen nach einer Beleidigung die Lizenz, den anderen anzugehen, um einen Ausgleich herzustellen. Dafür gibt es dann viel Verständnis und man darf auch schon mal unsachlich werden, denn es geht um Gefühle. Die sind heilig.

So muss in der Sache dann auch nicht mehr gestritten werden. Jüngstes Beispiel: Im Namen einer sozusagen beleidigten Gruppe wurde darauf verwiesen, dass Wissenschaftler nicht nur transfeindlich, sondern menschenfeindlich wären, weil diese ja behaupteten, im Fernsehen werde die Genderdiskussion falsch geführt. So geschehen in der eigentlich konservativen Zeitung „die Welt“ durch den Queer-Beauftragten Sven Lehmann. Dafür gab es dann auch noch Verständnis. Doch waren die Aussagen der Wissenschaftler eine Beleidigung? Und selbst wenn, rechtfertigen sie dieses Zurückkeilen? Und wer entscheidet darüber, wer beleidigt worden ist.

Man kann hier mit Carl Schmitt feststellen: Souverän ist, wer darüber entscheiden kann, ob eine Beleidigung stattgefunden hat. Und das kann zum Beispiel Sven Lehmann sozusagen im Auftrag der Bundesrepublik. Aber auch selbsterklärte Aktivisten dürfen nach ihren selbstgestrickten Kriterien entscheiden, wann ein Insult vorliegt.

Es hat also diskurspolitische Vorteile mit antrainierter Empörung – alles ist Konditionierung sagen Biologen – den anderen moralisch ins Eck zu stellen, weil man selbst oder sensible Gruppen schwer getroffen wären. Ist es da ein Wunder, dass man nun geradezu manisch nach Anlässen sucht, um sich kränken zu lassen? Oder um sich vor vermeintliche Opfer von Kränkungen zu stellen, was ja dann auch noch den Benifit hat, als Retter zu erscheinen?

Allerdings erinnert das Ganze doch fatal an die Skandale um die Mohammed-Karikatur. Da waren harmlose Bildchen für so manchen auch ein Anlass, sich mächtig aufzuspielen. Und schnell verschwanden diese dann auch aus der Öffentlichkeit. So geht es zu im Orient und jetzt auch im Okzident.

Da kann man durchaus feststellen, dass der Westen asiatischer geworden ist. Denn Ehre, Beleidigungen und Kränkungen, das sind Kategorien atavistischer Kulturen wie sie in Asien blühen, bei uns aber eigentlich eher keine große Rolle mehr spielten. Bis jetzt. Die Identity Policy hat aber diese Verhältnisse nun durch die Hintertür wieder eingeführt. Am Ende haben wir die gern zitierte Was-kuckst-du-Kultur auf allen Ebenen. Und natürlich auch viele „U-Bahnfahrer“, die angesichts der Bedrohung lieber keinen Blickkontakt mehr suchen aus Angst der taktisch eingesetzten Empörung anheimzufallen.

Christian Kümpel

Bild: Pixabay