Ich bin in deinem Kopf

Aufmerksamkeit zu erhalten, das ist nicht einfach. Und deshalb ist Aufmerksamkeit wertvoll. Wenn man sie will, dann muss man sich schon was einfallen lassen.

Aufmerksamkeit zu erlangen, das ist schon deshalb erstrebenswert, weil man dann im Kopf des anderen ist. Und wenn man es richtig anstellt, dann ist man im Kopf von Millionen anderen.

Zur Aufmerksamkeit gehört natürlich, dass man es zulässt, dass der andere in den eigenen Kopf gelangt. Wie stellt man das an? Bei mir funktioniert das so: Jemand verkündet öffentlich, dass alte weiße Männer junge Frauen unterdrücken und dass die Lage der Frauen in Deutschland schlimmer wäre als die der Frauen in Afghanistan. Sofort ist man in meinem Kopf. Man hat mich wieder mal getriggert.

Und weil das so gut funktioniert, kann mich die Identitätspolitik jeden Tag bis in die Gehirnwindungen verfolgen. Ich verlange geradezu nach Nachrichten, die mit der ID-Politik zu tun haben. Vermutlich wird irgendwie mein Belohnungssystem angesprochen. Obwohl diese News mich nur immer unglücklicher machen.

So gesehen ist die Identitätspolitik nichts als der sehr erfolgreiche Versuch, mich zur Aufmerksamkeit zu zwingen, und zwar durch Ansichten, die mich empören.

In einer Welt, wo weder Geld noch Macht noch besonders erstrebenswert sind, ist Aufmerksamkeit durch Identitätspolitik das neue Gold. Zu Katzengold wird ID erst wieder, wenn niemand mehr getriggert wird, wenn einem diese ID-Ansichten egal werden. Wann wird es soweit sein?

Übrigens, das Prinzip funktioniert auch umgekehrt. Wer Aufmerksamkeit bei Linken will, muss nur mal andeuten, dass Frauen als Minister unfähig sind, was meistens stimmt. Schon ist einem für mindestens eine Woche die Aufmerksamkeit sicher. Und wie das immer so ist mit der Aufmerksamkeitsökonomie: Besser die Leute regen sich auf, als dass sie einen ignorieren. Das wäre der soziale Tod.

So weit, so schlecht. Leider gibt es aber einen weiteren Haken bei der Sache. Man muss die Dosis immer erhöhen, wenn man noch Aufmerksamkeit will. Das ist bei Drogen meistens so. Daher sind wir jetzt so weit, dass auch ein falscher Blick skandalisiert werden kann. Da ist es nicht mehr weit zur Behauptung, der andere begehen Gedankenverbrechen. Und wer könnte widerlegen, dass man Schwarzer sagt, aber Neger denkt? Man sieht also: Es gibt noch ein wenig Luft nach oben. Und ich kann mich noch eine Weile aufregen.  

Christian Kümpel

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Wann ist es vorbei?

Argumente sind stichhaltige Gründe, die man in der Diskussion anführt, um andere zu überzeugen. Man sollte sich ihnen nicht verschließen, wenn sie gut sind. Aber lohnt es sich, mit jemanden zu argumentieren, der eindeutig nicht erreichbar ist? Würden Sie zum Beispiel mit einem Sektenmitglied reden? Wozu? Denn egal, was für Argumente sie vorbringen, sie werden es nicht überzeugen. Diskussionen lohnen eher mit Personen, die grundsätzlich offen sind für Argumente. Sektenmitglieder sind es sicher nicht.

Das gilt auch für Fanatiker im Umfeld der LGTBQ+ – Bewegung. Denn wenn man ihnen erklärte, dass es tatsächlich nur zwei Geschlechter gibt und dies mit Argumenten unterlegt, dann werden sie vermutlich Beispiele bringen, die allerdings kein anders Geschlecht begründen, sondern eben nur ihre Ansichten bestätigen, weil man über Gefühle nicht streiten könne. Das ist ein bisschen so wie bei Sektenmitgliedern, die einem erklären, dass man diese Wahrheit fühle. Da ist dann Schluss. Denn über Gefühle kann nicht sinnvoll gestritten werden.

Wenn also alles Argumentieren nicht lohnt, ist dann die Sache derjenigen verloren, die mit guten Gründen erklären, dass es nur zwei Geschlechter gibt? Vermutlich nicht. Denn alle Wahnvorstellungen verblassen irgendwann. Egal, ob es um Hexenhysterie oder Nationalsozialismus handelt, keine Vorstellung hält sich auf Dauer. Sie hat ihre Zeit und geht irgendwann vorüber. Die schlechte Nachricht: Abgelöst wird sie meist von einem anderen Wahn.

Doch was wäre denn nun der Wahn unserer Zeit? Dass der Einzelne glaubt, er wäre einerseits etwas Besonderes, aber andererseits stimmte mit ihm etwas nicht, dies ist der aktuelle Irrsinn. Der Mensch ist heutzutage, wenn man so will, der Dauerpatient, der therapiert werden muss, damit er als schöner Schmetterling davonflattern kann. Das ist natürlich Unsinn.

Der Grund für den Wahn könnte aber enden, wenn die Menschen sich nicht als unvollkommen und falsch erlebten, weil sie etwas Besonders sein müssen. Das ist allerdings ein Prinzip, das im Westen, wo man dem Individualismus frönt, systemimmanent ist. Wir werden deshalb wohl noch eine ganze Weile warten müssen, bis sich hier was ändert. Bis dahin gilt es, sich nicht kirre machen zu lassen und zu lernen, sich zu dem Irrsinn zu verhalten.

Christian Kümpel

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This is Africa

Wir alle haben so unsere Vorstellungen von Afrika. Mein Eindruck von dem Kontinent: Er ist korrupt, abergläubisch und kriminell. Aber was weiß ich schon! Unsere Eliten scheinen in jedem Fall eine ganz andere Sichtweise auf Afrika zu haben. Wie ist es sonst zu erklären, dass das Weltkulturerbe der„Benin-Bonzen“ nach Nigeria gegeben wird?

Mit so einem Erbe sollte man eigentlich behutsam umgehen. Sehen die deutschen Eliten die „Köpfe“ also in Afrika gut aufgehoben? Wenn ja, dann sollten sie mal lesen, was Brigitta Hauser- Schäublin, ehemalige Ethnologin, in der FAZ schreibt. Doch man will vermutlich nicht alles so ganz wissen, wenn die Fakten nicht in das woke Narrativ passen.

Was schreibt sie denn? Zunächst einmal existiert der Räuber- und Sklavenstaat Benin nicht mehr, weshalb sich die Frage stellt, an wen man da zurückgibt. Benin selbst lebte von der Versklavung und dem Verkauf von Menschen. Seine Vernichtung durch die Briten wurde vor mehr als 120 Jahre als richtig angesehen. Der Vergleich wäre versuchsweise folgender: Die USA geben Deutschland Nazi-Kunst zurück, die von KZ-Häftlingen finanziert wurde, mit der Begründung, es handele sich um Beutekunst. Hört sich krass an? Nun, die Bronzen-Köpfe wurden nur durch den Sklavenhandel ermöglicht. Da darf man diesen Vergleich wohl wagen.

Und schon scheint die Rückgabe nicht mehr so ganz hochmoralisch daherzukommen. Kein Wunder, dass insbesondere die Nachkommen der Sklaven in den USA, den Nachkommen der Opfer Benins, gegen die Rückgabe Einwände haben. Ich vermute mal, dass die Urenkel von KZ-Häftlingen auch eher verärgert reagieren würden, wenn Nazikunst zurückgeben werden sollte, das ihre Großeltern finanziert haben. Vielleicht noch mit der Begründung, das wäre Beutekunst.

Andererseits ist das alles ja auch nur temporär. Denn lange werden die Bronzen sowieso in Nigeria verweilen. Wie Häuser-Schäublin in ihren Artikel in der FAZ ausführt, verschwinden die meisten Artefakte relativ schnell wieder aus den Museen Afrikas. Dann landen sie auf dem illegalen Kunstmarkt. Warum? Die meisten Nigerianer können mit den Sachen wohl wenig anfangen. Sie haben in Afrika auch eher kein Verständnis für Museen und museale Kunst. Afrikaner haben meist andere Sorgen. Die ersten Sammlungen wurden folgerichtig deshalb von Weißen in Afrika eingerichtet. Und später übergeben.  

Leider hatte und hat man in Nigeria aber eine andere Auffassung von wissenschaftlicher Arbeit, weshalb die Katalogisierung der Kunstwerke nicht so recht klappen will. Jedenfalls nicht nach europäischen Maßstäben. Deshalb weiß man eigentlich gar nicht so genau, was da noch im Bestand ist. Den Rest erledigen die Korruption und die Neigung zum Klauen. Nur mal so ein Beispiel von vielen aus dem Artikel: Zwischen 1950 und 1960 hat das British Museum 54 Reliefplatten zu einem Bruchteil des Marktpreises an Nigeria, dem Nachfolgestaat Benins, verkauft. Davon gibt es nach Angaben der Benin Datenbank aktuell noch zwei, also weniger als fünf Prozent.

Kriminelle Syndikate, so die Ethnologin in der FAZ, sorgen jedenfalls dafür, dass der Nachschub für Privatsammler nicht ausgeht. Was aber den europäischen und US-amerikanischen Kollektor freut, ist nicht gut für das Welterbe, wenn es von der „Welt“ gesehen werden soll. Denn Privatsammlungen von solcher Art Kunst bleiben meist privat.

Um die Wahrheit zu sagen, die Köpfe sind mir vollkommen egal. Doch anscheinend bin ich nicht der Einzige. Den deutschen woken Eliten ist es nämlich auch schnuppe, was mit den Sachen passiert. Ihnen ist wichtig, dass sie sich moralisch aufplustern können. Vermutlich ist das ihre größte kulturelle Leidenschaft. Nach der Übergabe der „Beutekunst“ an Nigeria können diese dann jedenfalls dem Vergessen anheimfallen.

Christian Kümpel

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Jänder Trouble

Wie ist das eigentlich, wenn ich mein Geschlecht ändere? Wird meine Frau dann lesbisch? Immer vorausgesetzt, sie verlässt mich nicht, wofür sie gute Gründe hätte. Immerhin wäre man ja selbst auch angefressen, wenn man einen BMW bestellt und eine Schrottkarre erhält. Da heißt es schnell: Rücktritt vom Vertrag. Optisch ist jedenfalls ein modifizierter Männerkörper mit all den Narben und der maskulinen Anmutung nicht jedermanns Sache. Auch wenn darüber Frauenkleider hängen.

Aber der Vergleich hinkt. Immerhin bleibe ich ja immer noch Autofahrer, auch wenn die Karre vielleicht mies aussieht. Aber meine Frau wäre nicht mehr meine heterosexuelle Frau, sondern mein homosexueller Partner, wenn ich mich zur Frau erklärte. Das ist schon ein Unterschied.  

Anders wäre dies, wenn ich mich als homosexuell outen würde. Dann wäre meine Frau immer noch mit einem Mann verheiratet, sollte sie mir diese sexuelle Orientierung vergeben. Überhaupt waren und sind vermutlich viele Frauen mit Schwulen verheiratet. Gründe dafür, gäbe es genug. Zum Beispiel den, dass die Eltern des Homosexuellen einen gewissen Druck aufgebaut haben.

Aber bei einem lesbischen Paar könnte das schon wieder ganz anders aussehen. Nehmen wir an, die eine fühlt sich als Mann und nimmt das andere Geschlecht an. In dem Fall würde ja aus ihrer Partnerin eine heterosexuelle Frau werden, wenn die Partnerschaft bestehen bleibt. Wollte sie das?

Und vor allem, was will uns das sagen? Angesichts der zukünftigen Möglichkeiten, das Geschlecht zu wechseln, heißt es für viele, dass sich auch ihr Status relativ zu der Person, die sich zum Mann oder zur Frau machen lässt, verändern wird. Eltern haben plötzlich einen Sohn, Großmütter eine Enkeltochter und schwule Männer werden auf einmal heterosexuell, je nachdem, wie Kinder, Enkelkinder oder Partner sich gerade fühlen. Wobei es ja gesetzlich sogar möglich sein soll, das Geschlecht jedes Jahr zu wechseln.

Das ist nicht ganz trivial. Denn wenn auf der einen Seite meine Identität so bedeutsam sein soll, entscheidet nun jemand, der mir Nahe ist, wer ich bin, nämlich der Partner einer Frau oder eines Mannes. Das berührt also auch meine Identität.

Was wäre die Lösung? Nun, man könnte ja einfach unter der Prämisse heiraten oder eine Partnerschaft eingehen, dass das Geschlecht des anderen nur unter Vorbehalt gilt. Ich wäre also nicht mit einem Mann oder einer Frau verheirate, sondern mit einer Person, die sich zurzeit so oder so fühlt. Weitergedacht hätte das Transitorische den Charme, dass diese ganze Feminismus-Debatten endlich aufhörten. Denn wie können Frauen behaupten benachteiligt zu sein, wenn Sie morgen schon Männer sein könnten? Ihre Schuld! Sie könnten doch mal über Geschlechteränderung nachdenken! Und Männer, angeblich strukturell im Vorteil, sind vielleicht schon übermorgen als Frau diskrimiert, wenn sie sich geschlechtlich ändern. Das muss man jetzt mitdenken.

OK, man könnte nun einwenden, dass hört sich alles ziemlich verrückt an. Aber das ist ja eben das Interessante. Wenn der Einzelne ver-rückt sein darf, wie er will, dann muss die Gesellschaft es eben auch werden. Schon stimmt die Gleichung wieder. Von nun an hängen wir jedenfalls alle mit drin.

Christian Kümpel

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Bin ich, was ich fühle?

Jeder Mensch kann tut, was er will. Aber er kann nicht wollen, was er will. Dieser Gedanke ist von Schopenhauer. Er meint damit, dass unsere Freiheit irgendwie auf Sand gebaut ist. Anders gesagt: Wir fühlen uns frei, aber wir sind es nicht. Darum spricht man ungerne darüber, warum man will, was man will.

Und wie steht es um das Gefühl? Ist das einfach so da? Oder gibt es Voraussetzungen für die Gefühle?

Fühlen ist zurzeit ganz groß in Mode. Man hat daher den Eindruck, der Mensch wäre nicht Geschöpf der Umwelt, der Sozialisation oder gar der Institutionen. Vielmehr scheint er nun die Summe seiner Gefühle zu sein. Und so geschieht es, dass eine Person, die aussieht wie ein Mann, die erzogen wurde wie ein Mann und die grundsätzlich wie ein Mann behandelt wurde, tatsächlich eine Frau wäre, wenn er entsprechend fühlt.

Nun gab es ja mal eine Zeit, da hieß es: Trau deinen Gefühlen nicht allzu sehr, halte Distanz zu deinen Gefühlen. Sie täuschen dich leicht. Man konnte sogar Gefühle vortäuschen, um sich Vorteile zu verschaffen. Das erweckte Misstrauen. Kurz: Gefühle hatten zumindest einen zweifelhaften Ruf. Deshalb hieß es sogar noch in den 80igern, man solle möglichst cool daherkommen. Diese gefühlige, sentimentale und honigartige Art der Hippies war verpönt. Dieser Betroffenheitspathos erschien lächerlich. Da hat sich was verändert. Jetzt heißt es: Stell bloß meine Gefühle nicht in Frage. Denn ich bin, was ich fühle.

Gefühle kommen aber vermutlich nicht einfach so daher. Sie haben Auslöser. Was löst dann aber das Gefühl aus, eine Frau zu sein, obwohl man ein Mann ist? Es könnte sein, dass man gerne etwas Besonders wäre. Die Eitelkeit, der Wunsch besonders zu sein und der Zwang seine Individualität möglichst drastisch auszuleben, könnte zu Gefühlen fühlen, die man so gar nicht in sich vermutete. Sicher kennt man auch das schöne Gefühl, andere zu schocken. Es verleiht Macht. Schließlich können bestimmte Gefühle auch von Moden ausgelöst werden, die in den Sozialen Medien transportiert werden. Die Gründe für bestimmte Gefühle sind also mannigfach. In Frage gestellt werden, dürfen sie aber jetzt aber nicht mehr. Denn Gefühle wären authentisch, heißt es. Und authentisch, das bedeutet heutzutage, das kann nicht hinterfragt werden. Soll das heißen, man darf eigentlich über alles reden, aber nicht mehr über die Ursache meiner Gefühle? Dann hätte Schopenhauer in der Tat recht, auch was Gefühle betrifft.

Christian Kümpel

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Kassler Kindergartendrama

Die Geschichte ging so: Queere Person bringt Kind in den Kindergarten zur Eingewöhnung. Queere Person bringt auch queere Literatur mit. Queere Person möchte, dass die Kinder lernen: Auch Männer könnten Kinder bekommen. Kindergarten kündigte in der Probezeit. Aufschrei wegen Diskriminierung.

Doch Diskriminierung liegt wohl nicht vor. Oder, so fragt Tichys Einblick, wäre es denn anders gekommen, wenn ein Kernkraftbefürworter entsprechende Literatur mitgebracht hätte, um die Kleinen zu „informieren“. Bildung sollte nur durch das geschulte Personal vermittelt werden. Sonst kommen noch mehr berufene Väter oder Mütter mit ihren kruden Themen und verunsichern die Kinder. Und, so gibt man zu bedenken, nicht alle Eltern finden das gut.

Doch Reinhard Jarka macht noch auf einen anderen Umstand aufmerksam. Es geht um die Mechanismen, mit denen die Transaktivisten arbeiten, nachdem sie es bereits geschafft haben, die kulturelle und politische Dominanz herzustellen. Zunächst begeben sie sich in die Einrichtung. Dann provozieren sie einen Eklat, um sich als Opfer zu inszenieren. Schließlich kommen die Medien, und machen die Einrichtung fertig. Darauf gibt man klein bei. So das Kalkül. Der Gewinn: 15 Minuten Ruhm. Kennt man ja von Andy Warhol.

Doch wie man sieht, funktioniert das nicht immer. Dazu braucht es allerdings ein bisschen Mut auf Seiten der Institution. Es gibt ihn anscheinend noch.

Hier soll natürlich auch nicht verschwiegen werden, dass das Kind der queeren Person durchaus einen Schaden davontragen könnte. Zum einen schon deshalb, weil bei solchen Auftritten der Bezugsperson durchaus Schameffekte möglich sind. Zum anderen, weil die anderen Kinder sicher auf so ein exzentrisches Verhalten reagieren werden, und zwar zum Schaden des Kindes. Wenn nicht im Kindergarten, so in der Schule. Die Frage stellt sich da: Was ist der Bezugsperson wichtiger, das Ausleben ihrer Queerhaftigkeit auf Kosten des Kindes oder das Aufwachsen des Schutzbefohlenen unter normalen Umständen? Wir kennen die Antwort vermutlich. Den Schaden, den Bhagwan-Eltern bei den Kleinen anrichteten, um ihr Selbst zu erweitern, scheint auch bei dem neuen Elterntyp nicht ins Gewicht zu fallen, solange man nur sein Ich pflegen kann.

Christian Kümpel

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Umgangsformen

Es ist schon kurios, wie aggressiv man hierzulande miteinander umgeht. So steht in der letzten EMMA: „Jan Böhmermann diffamiert Menschen, die das geplante „Selbstbestimmungsgesetz“ kritisieren, als Nazis und „Scheißhaufen“. Staatssekretär Lehmann applaudiert.“ Gefordert wird nun der Rücktritt von Lehmann. Der ist immerhin Staatssekretär, allerdings für Queere-Fragen. Dennoch die Frage: Klatscht man bei solchen Äußerungen Beifall? Vor allem als hochrangiger Politiker?

Nun ist mir aber auch erinnerlich, wie die EMMA-Herausgeberin, Alice Schwarzer, vor Jahren die Ärztin Esther Villar im Fernsehen fertiggemacht hat. Dabei wurde sie von Schwarzer als Nazi bezeichnet, obwohl Villar jüdischer Abstammung ist. Dies wegen ihrer These, dass Frauen Männer manipulierten und unterdrückten. Das passte nicht in Schwarzers Weltbild: Bei Schwarzer ist es grundsätzlich immer umgekehrt: Männer unterdrücken Frauen. Davor wurde Villar übrigens von feministischen Aktivisten verprügelt, weshalb sie das Land verlassen hatte. Man sieht also: Hierzulande fehlt es nicht an Konzepten, sondern an Umgangsformen, und zwar schon länger.

Woran liegt es? An den steilen Thesen, die einen aggressiv machen? Nun, man darf ja gerne glauben, dass Männer das Grundübel seien oder dass Frauen Männer manipulieren oder dass es 67 Geschlechter gäbe. Das wäre aber kein Grund auszuflippen. Es liegt vermutlich eher an einer Kultur, die mit Martin Luther sagt: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Diese Kultur hat sich verbunden mit dem Wahn, die Wahrheit gepachtet zu haben. Dass der Wahn die Person gepachtet hat, wird meist nicht geglaubt. Dabei spricht oft alles dafür, dass genau das der Fall ist. Schließlich gibt es natürlich noch die Lust an dem Schmerz des anderen, wenn der Gegner getroffen worden ist. Kindisch, aber so etwas mögen viele Menschen nun mal.

Statt also die Frage zu beantworten, ob Frauen nun unterdrückt werden oder ob es 67 Geschlechter gibt – Fragen, über die die Zeit irgendwann hinweggehen wird – wäre es vermutlich besser, an den Umgangsformen zu arbeiten. Sie wissen schon: Ich-Botschaften statt Du-Botschaften. Siezen statt Duzen. Nachsicht mit den Verrückten. Gepflegte Ironie und vor allem immer eine innere und äußere Distanz. Am besten auch zu sich selbst. Wenn man dann noch aufhörte, eine Kultur zu pflegen, die den anderen für vogelfrei erklärt, weil er ein Nazi, ein Liberaler oder von mir aus auch ein durchgeknallter Linker wäre, um dann sein Mütchen an ihm zu kühlen, wäre viel gewonnen.

Anders gesagt: Wir bräuchten wieder mehr Form. Inhalte gibt es schon genug.

Christian Kümpel

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Ey, du Opfer!

Nietzsche sprach noch vom Übermenschen. Das Christentum war ihm dagegen die Religion der Schwachen, der Opfer. Die Zukunft sollte seiner Meinung nach dem Supermann gehören. Wie es aussieht, hat er sich geirrt. Wir leben im Zeitalter der Opfer, der Schwachen und ihres Kults.

Heute wollen alle Opfer sein und feiern das. Die Identitätspolitik macht es möglich. Ob Schwarzer, Frau oder Homosexueller, man hat Grund genußvoll zu jammern. Doch auch die alten weißen konservativen Männer weinen und klage mit Gusto. Dazu die Soziologin Eva Illouz in der FAZ: „Die Republikaner waren die Partei derer, die mit den Zähnen knirschten, sich niemals beschwerten, glücklich mit ihren Privilegien waren und ihre Emotionen kontrollierten. Das hat sich geändert. Nun fühlen sie sich als Opfer derer, die Menschen ihrer Redefreiheit berauben.“

Dass sie sich als Opfer fühlen, mag verständlich sein. Denn in der heutigen Gesellschaft zählt man nur, wenn man Opfer ist. Ein Opfer zu sein, das ist sozusagen das größte Distinktionsmerkmal der Postmoderne. Doch der Preis für dieses neue Ideal ist hoch. Denn um Opfer zu sein, muss man sich anhören wie ein Opfer. Und so klingen die Linke und Rechte heutzutage eben alle unfassbar weinerlich, auch wenn sich dabei gerechter oder ungerechter Zorn untermischt.

Es ist vermutlich kein Zufall, dass noch vor wenigen Jahren Schwächlinge, oder solche, die man dafür hält, mit Opfer angesprochen wurden. Ihnen galt die Verachtung des Streetfighters. Aber die Opferpose oder vielmehr die Opferposse setzt sich durch und passt zu der heutigen Gesellschaft. Denn nichts entspricht besser der Kombination von Individualisierung bei gleichzeitiger Gruppenbildung als die Opferrolle. Sie ist sozusagen die Schnittstelle des Ich mit dem Wir.

So wie man sich früher eben als Deutscher oder Katholik gefühlt hat, so fühlt man sich jetzt als Opfer im Opferkollektiv, ohne in der Gruppe emotional vollkommen aufzugehen. Das Opfersein ist sozusagen das, was die Gesellschaft hervorbringt und zusammenhält.

Wird das so bleiben? Vermutlich nicht. Denn wenn nun alle Opfer sind, könnte es bald so weit sein, dass einige aus der Opferrolle aussteigen wollen. Immerhin ist ja nichts besonders daran, Opfer zu sein bei dieser Inflationierung. So wie alle zu sein, dass ist in einer Gesellschaft der Individuen, oder der Gesellschaft von Menschen, die sich für Individuen halten, vermutlich das größte Verbrechen. Zynismus wäre in diesem geistigen Umfeld eigentlich der nächste Schritt, um wieder als Mensch erkennbar zu werden, der kein Opfer sein möchte. Und natürlich das selige Gefühl der Verachtung.

Christian Kümpel

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Weibliche Pseudowissenschaft

Katrine Marcal, eine schwedische Journalistin, erklärt laut Deutschland Radio in ihren Büchern, dass in einer männlich dominierten Welt, die vor allem den Vorstellungen eines Geschlechts folgt, die Hälfte des menschlichen Potentials brach liege. Eins ihrer Beispiele dafür, was für ein Potential man in einer Welt hätte, wenn die Frauen endlich mehr gewürdigt würden: Der Rollkoffer wurde erst erfunden, als es ein neues Rollenverständnis gab und mehr Frauen alleine reisten, also in den 70iger Jahren. Rainer Hank fragt in der FAS, ob die Erfindung des Rollkoffers nicht eher etwas damit zu tun habe, dass es keine Kofferträger mehr gab, die sich die Arbeit des Koffertragens antun wollten. Das hört sich zwar viel plausibler an, passt aber nicht ins Narrativ. Erfindungen werden also nur möglich durch Paradigma-Wechsel, wenn man dem feministischen Konstruktivismus folgt. Aber ist das nicht vielleicht selbst auch nur ein Metastory im Sinne der feministischen Märchenerzählungsindustrie.

Wenn man die Welt mit der Brille des Feministen betrachtet, dann findet man immer dieselbe Muster. So hat Marcel auch „entdeckt“, dass das Elektroauto sich nur deshalb in einer Männerwelt nicht durchsetzen konnte, weil es als weich und weiblich galt. Mit dem billigen Benzin hätte es nichts zu tun gehabt. Aha! Heutzutage hätte Tesla demnach eine Chance, weil Männer jetzt Elektroautos vermännlicht hätten, muss man schlussfolgern.

Dazu fällt mir ein, dass Marlborro mal eine Frauenzigarette war. Die konnte erst von Männern geraucht werden, als die Werbung auf die Cowboys kam. Allerdings war das ja wohl keine Erfindung, sondern ein Rebranding. Und wer erinnert sich nicht an die Handtäschchen, die Männer in den 70iger oder 80iger Jahren trugen. Nur möglich, weil Männer die Vorteile der Tasche entdecken durften, ohne durch das Tragen als unweiblich zu gelten. Und dass Männer sich jetzt überall rasieren, wem verdanken wir das? Genau! Doch es geht ja bei Marcal um das weibliche Potential, das angeblich brach liegen soll, weil wir in einer Männerwelt leben, oder besser gesagt: lebten! Was hat sich also geändert?

Jüngst durfte man dazu im „Spiegel“ lesen: Es gibt in Deutschland immer mehr Frauen, die Akademiker sind. Doch nur „jedes zehnte Patent wird hierzulande von einer Frau angemeldet. Damit steht Deutschland in Europa schlecht da – vom Vergleich mit Asien ganz zu schweigen.“ Warum? Möglicherweise, weil sich Frauen hierzulande in Europa mit Pseudowissenschaften wie Genderforschung und Konstruktivismus beschäftigen statt mit Technik. Ändern wird sich das aber kaum. Denn mit den Pseudowissenschaften hat man in dieser Gesellschaft die Deutungshoheit. Und auf die kommt es an.

Frauen werden also vermutlich weiterhin Womensplaining betreiben. So auch im Deutschlandfunk. Da hieß es über das Buch, das übrigens von einer Frau besprochen wurde: „Sie (Marcal) seziert gesellschaftliche Entwicklungen und kommt dabei von historischen Einzelbeispielen zu den Problemen der heutigen Zeit: Der Klimawandel als Folge eines zu „männlich“ geprägten Umgangs mit der Welt.“ Als ob man es nicht geahnt hätte.

Christian Kümpel

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Ist es bald vorbei?

Moral war früher ein Luxusgut. Ärmere Leute haben nämlich meist andere Sorgen als Pseudo-Diskriminierung oder ethische Fragen zu veganem Essen. Sie wollen besser leben. Doch seit einiger Zeit geht es allen besser. Da kann man sich auch Moralismus leisten.  

Allerdings scheint die Aufwärtsbewegung nun abzubrechen. Denn eine Krise jagt die nächste. Dass es nochmal besser wird, glauben die wenigsten. Die wirtschaftliche Entwicklung scheint nur eine Richtung zu kennen. Was bedeutet das für die Identitätskrieger und ihre hypermoralische Agenda?

In der FAZ stellen Benjamin Enke und Matthias Polborn die Frage, warum sich westliche Länder immer mehr polarisieren. Ihre Antwort: Reiche wählten früher konservativ. Weniger Reiche wählten links. Nun wählen Reiche links, weil sie sich moralisches Wahlverhalten leisten können. Und die linken Parteien mit ihren neuen Themen haben ihnen da einiges zu bieten.

Doch die eher ärmeren Schichten, die von der linken Agenda eher abgestoßen werden, weil sie gesellschaftspolitisch konservativ sind, wählen dafür jetzt rechts, obwohl das gegen ihre wirtschaftlichen Interessen sein könnte. Das gefällt nicht allen Linken, zum Beispiel Frau Wagenknecht. Sie möchte sie zurückholen, durch eine konservative Agenda, die aber das soziale betont.

Doch was passiert, wenn es nun nur noch ums liebe Geld geht, und zwar nicht nur bei den Armen, sondern auch bei den eher reichen Bürgern, wenn sich der Wind eben heftig dreht? Dann müsste eigentlich auch Moral wieder das werden, was es immer schon war: ein entbehrliches Luxusgut.

Dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass die die gute alte Unterscheidung reich/arm die Unterscheidung moralisch/amoralisch wieder ablöst. So wie es ja früher immer war. Für Wagenknecht als Linke wäre die Krise so gesehen eine Chance. Denn ihre Klientel könnte sich von linken Parteien, die sich nur der sozialen Frage widmen, und zwar ohne Gedöns, wieder angesprochen fühlen. Und die ärmeren Reichen werden dann vielleicht ganz neue Werte entdecken, nämlich den Wert, die Kohle zusammenzuhalten. Lassen wir uns überraschen.

Christian Kümpel

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