Macht und Methode

Wahrgenommen werden als der, der man ist… Man könnte da einwenden: Man ist nie ganz der, der man ist. Und man hat auch kein Recht darauf, zu bestimmen, wie man wahrgenommen wird. Aber folgen wir der Logik der Identitätspolitik. Wenn da ein Schwarzer steht oder geht, dann soll er in erster Linie als Schwarzer erkannt, respektiert und geachtet werden. Weil er eben ein Schwarzer ist. Dabei sei auch seine Kultur zu berücksichtigen. Was immer die im Einzelfall sein mag. Einerseits. Andererseits ist es irgendwie aber auch ganz falsch, den Schwarzen auf irgendeine Kultur festzulegen und seine Hautfarbe zu thematisieren. Da irgendwelche Bemerkungen zu machen wie: ich nehme mit Respekt ihre Hautfarbe zur Kenntnis und möchte an dieser Stelle meine Bewunderung für schwarzafrikanische Tänze zu Ausdruck bringen, können schwer ins Auge gehen. Immerhin spielen Hautfarbe und Kultur keine Rolle, irgendwie. Aber irgendwie dann wieder dann doch. Man könnte es auch so formulieren: Beachte das Schwarzsein und seine kulturellen Konnotationen immer, aber nimm es niemals wahr. Da kann man dann in der Tat sehr viel falsch machen.

Diese Botschaft erinnert dann doch sehr an die sogenannte Doppelbindung in der Psychologie. Eine Definition von Doppelbindung ist, dass man den Erwartungen des Senders nicht gerecht werden kann, weil widersprüchliche Signale gesendet werden. Dazu gehört auch, dass man, egal wie man sich verhält, bestraft wird. So wird man sowohl für das Nichtbeachten als auch für das Beachten sanktioniert, natürlich nur in Form einer moralischen Verurteilung. Zumindest noch. Schließlich gehört zur Doppelbindung, dass man nicht darauf hinweisen darf, dass man nicht etwas gleichzeitig beachten und nicht beachten kann. So kann man gleichzeitig zwei Ideen vortragen, die sich gegenseitig ausschließen, und Macht ausüben.

Aber wie? Was macht das eigentlich mit uns, wenn wir uns in so einem Dilemma befinden? Man ist meist wütend und gestresst. Doch irgendwann fängt man an, sich anzupassen. Man achtet ganz genau darauf, dass man nichts Falsches sagt. Man will eben kommunikative Probleme vermeiden. Und dann hat es eben das Dilemma seinen Sinn erfüllt. Das funktioniert auch bei der Identitätspolitik und ihren vermeindlichen Widersprüchen. Wie gut, sieht man daran, dass sich immer mehr vorsichtig verhalten, statt die kommunikativen Methoden der Identitätspolitik zu analysieren und in Frage zu stellen. Da hilft nur, einen Schritt zurückzugehen und die Dinge von außen zu betrachten. Ein guter Vorsatz für das Jahr 2022.

Christian Kümpel

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Doppelbindungsstörung

Der große Denker Paul Watzlawick hielt Doppelbindungen für eine Ursache der Schizophrenie. Ob das so wirklich so ist, kann dahingestellt bleiben. Doch Doppelbindungen sind in der Tat Teufelszeug. Hier ein paar Beispiele für Doublebinding: Eine Mutter macht eine abwehrende Bewegung und bittet das Kind, sie zu umarmen. Ein weiteres Beispiel: Der Chef möchte keine Veränderungen, sagt aber deutlich, dass es nicht so bleiben kann, wie es ist. Nun bin ich in der FAZ auf ein weiteres schönes Beispiel gestoßen. Dort wird der Anfang eines Gedichts zitiert: „For the White Person That Wants to Know How to Be My Friend: „The first thing you do is to forget that i´m black. Second, you must never forget that I´m black.“

Der Satz ist sicher nicht krankheitserregend. Aber das diese Aufforderung zu nicht Gutem führen, ist klar. Denn man fühlt sich ohnmächtig und hilflos, wenn man widersprüchliche Aufforderungen erhält. Dennoch soll man handeln, ohne dass man die Situation einer Lösung zuführen kann. Denn egal, was man macht, es ist falsch und man erreicht das Ziel nicht. Wie kommt man aus der Nummer heraus? Es gibt da ein paar Lösungsansätze.

Man muss zunächst einmal erkennen, dass alle manipulieren wollen. Auch wir. Von allen Tricks ist es dabei besonders manipulativ, den anderen dazu zu bringen, zu heucheln. Wenn ich zum Beispiel einem Alkoholiker Geld gebe und ihm sage, dass es nicht für Schnaps ausgegeben werden darf. Dann zwinge ich ihn, zu lügen und genieße auf billige Art Macht über ihn. Allerdings auf Kosten der Moral. Denn was ist unfairer, als sich über jemanden zu erheben, der keine Wahl hat, indem man ihm vermeintlich eine gibt. Darum sollte man, wenn man fair bleiben möchte, dem Trinker nichts geben oder ihm etwas geben und nichts erwarten. Dem Schwarzen, der von mir verlangt, seine Hautfarbe zu vergessen, ohne sie je zu vergessen, kann man es auch niemals recht machen. Er handelt unfair. Das sollte man schon einmal für sich klar machen. Und man sollte sich auch klar machen, dass es zur Freundschaft gehört, den anderen nicht unfair zu behandeln.

Sollte man dennoch den Versuch machen wollen, diese Freundschaft zu retten, dann könnte man also einmal fragen, was dem schwarzen Dichter wichtiger ist: Ein Freund zu haben oder einen Heuchler zu schaffen. Dann könnten Sie ihm aber auch antworten, dass es schwer sei, zu vergessen, dass er schwarz sei. Denn er mache ja ständig Gedichte darüber. Oder fragen sie ihn, ob Montag vergessen werden soll, dass er schwarz ist, aber Dienstag sein Schwarzsein bedeutsam wird. Wenn er den Ball zurückspielt und meint, dass ein echter Freund schon wissen müsse, wann was im Vordergrund stehe, dann teilen Sie ihm mit, dass man gerade eine anstrengende Beziehung beendet habe und man sich auf eine Freundschaft mit jemanden, der Spielchen spielen will, nicht einlassen kann. Exit, das ist jedenfalls immer eine Option, wenn Identitätspolitik manipulativ wird und auf ihren doppelbödigen Charakter besteht. Manchmal gibt es leider keine andere Lösung, wenn man nicht manipuliert werden möchte.

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