Pseudo Species

Erik Erikson war Psychoanlytiker. Dennoch hat er im Bereich Verhaltensforschung einen wichtigen Begriff eingeführt: Pseudo Species. Während Gattungen sich biologisch hart unterscheiden, unterscheiden Pseudo Species sich kaum oder gar nicht. Eine argentinische Ameise ist genau so ausgestattet und gebaut wie die nächste. Dennoch bekämpfen sich die verschiedenen Völker des argentinischen Sechsfüßlers unbarmherzig. Und ähnlich machen wir Menschen es, gerade weil wir uns gleichen. Die Erklärung für dieses Verhalten wird in der Tatsache gesucht, dass Pseudo Species allen andern Arten überlegen sind, sogar den Räubern. Doch wenn keine andere Art bedrohlich ist, wird man sich selbst bedrohlich. Warum das so ist, könnte daran liegen, dass Pseudo Species auf diese Weise den Selektionsmechanismus wieder in Betrieb setzten, der ohne Feinde ausgehebelt würde. Das soll jetzt nicht heißen, dass Menschengruppen immer gegeneinander kämpfen müssen, so wie bestimmte Ameisenvölker. Allerdings kann es erklären, warum Menschen Gruppen bilden und dabei andere Gruppen als nicht zugehörig empfinden. Schlimmer noch, man empfindet sie gelegentlich als Feinde.Gruppen bilden sich dabei mithilfe der üblilchen Merkmale: Hautfarbe, Religionszugehörigkeit oder Vermögensverhältnisse. Auch Kultur funktioniert als Abgrenzungsmechanismus, um eine Pseudo Specie zu bilden.

Weil Nationalstaaten all die Unterschiede zur Nebensache erklärten, solange man ihr angehörte, konnten sie Supervölker hervorbringen. Und es ist kein kleines Wunder, wenn Millionen Menschen, die sich nicht kennen und die manchmal wenig miteinander zu tun haben, meinen, sich während ein einig Band von Brüdern und Schwestern. Diese Leistung des Nationalstaats ist historisch. Der Krieg der Gruppen wurde beendet. Doch die Geschichte geht weiter.

Denn der Nationalstaat ist schon seit einigen Jahren im Niedergang. Zum einen wegen der Globalisierung, die den Nationalstaat immer weiter in die Defensive bringt. Zum anderen durch Eliten, die ihrem Nationalstaat entwachsen sind. Die Frage ist, ob diese Entwicklung bald zu einem Supersupersystem führen wird? Wenn man sich die Ameisen anschaut, dann sind die Chancen dafür eher schlecht. Vermutlich wird der Mensch eher neue Pseudo Species bilden, um dem Einzelnen in dieser globalisierten Welt eine Heimat zu geben. Wenn es so ist, dann kann es nicht überraschen, dass die Identitätspolitik im Vormarsch ist. Denn sie propagiert den Kampf der Gruppen mit klarer Feindmarkierung. So gesehen ist die Identitätspolitik die Rückkehr dessen, was man glaubte, überwunden zu haben.

Bild von phoenixsierra0 auf Pixabay