Werteopportunismus

Werte sind konstituierend für Kulturen. Solche können sexuelle Freiheit sein. Aber auch die Tradition hat seinen Wert. Meist werden die einzelnen Werte, zumindest dann, wenn die Kultur überleben möchte, nicht ganz so hoch gehängt. Man muss sie irgendwie miteinander abgleichen. Im Zweifelsfall muss auch mal geheuchelt werden, damit es nicht zum Knatsch kommt. Unangenehm wird es aber meist dann, wenn Werte absolut gesetzt werden. Dann gibt es Krach. Zumindest dann, wenn der Schwächere nicht nachgibt. Nun gab es wieder ein schönes Beispiel für diese These, als Disney es akzeptierte, dass sein Film im Orient zensiert worden ist. Es geht um den Streifen”Lightyear”.

Ein fast absoluter Wert in der westlichen Gesellschaft: Lesben und Schwule dürfen sich nicht nur küssen, sie müssen es auch in der Öffentlichkeit tun dürfen und das muss auch in Filmen gezeigt werden, und zwar ständig. Wie könnte man so einen Wert nennen? Sexuelle Toleranz ist da nämlich zu wenig gesagt.

In muslimischen Ländern hält man nichts davon. Dort gilt die Überllieferung als wichtiger Wert. Dazu gehört das traditionelle Verständnis von Sexualität. Nur Männer küssen Frauen. Basta. Lesbenküsse gehören nicht zum Kulturinventar. Deshalb lehnt man dort die Kussszene in dem Kinderfilm aus dem Hause Disney ab. Nun ist es bekanntlich so, dass der aufgeklärte Westen seine Werte für allgemeinverbindlich erklärt. Diese seien sozusagen weltumspannend. Deshalb ist man im Westen empört. Aber natürlich nicht so empört, wie wenn im Westen Mohammed-Karikaturen gezeigt werden. Dann tobt der Orient. Und hier im Westen kommt man ins Schwitzen. Dass nun die Schwulen und Lesben und Woken hierzulande ausrasten, so wie man das im Süden immer dann tut, wenn der Prophet in ein schlechtes Licht gerückt wird, ist nicht überliefert. Da kann man nur sagen: Sehr vernünftig. Denn man legt sich nicht mit Stärkeren an.

Die Erregung im Westen richtet sich eben nicht gegen einen mächtigen Feind der neuen westlichen Sexualmoral. So wie ein Beutejäger sich nicht an einem anderen stärkeren Beutejäger vergreift, verhält man sich auch hier streng opportunistisch. Man fängt nur an zu knurren, wenn es gegen die geschwächten alten konservativen Tiere im eigenen Revier geht. Die kuschen dann auch meist, wie man neulich in der Welt lesen dürfte. Mit den Muslimen läuft das nicht.

Der höchste Wert im Westen ist vermutlich doch der, nicht auf die Nase zu kriegen. Den Konservativen, die ja auch für Tradition sind, schulden wir hier Dankbarkeit. Denn wie man sieht, kriegt man seine Werte nur dann durchgedrücken, wenn man auch die nötigen Machtmittel hat. Ansonsten muss man sich eben fügen, um schwere Konflikte zu vermeiden. Merke: Am Ende ist es besser, keinen Streit zu riskieren, den man sowieso nicht gewinnen kann. Das gilt für die Linken wie für die Rechten.

Christian Kümpel