Struktureller Skandal

Ein handfester Skandal ist ein Ärgernis, welches unendlich viele Menschlein überglücklich macht, so Gert W. Heyse. Doch was macht eigentlich einen Skandal aus?  Der Skandal braucht zunächst einmal einen Hintergrund, auf dem sich der Skandal abspielt. Der Hintergrund wäre eine bestimmte Einstellung der Gesellschaft zu einem Verhalten. Frauen schlecht zu behandeln, weil sie Frauen sind, wäre jedenfalls ein Skandal, weil in unserer Gesellschaft Frauen geachtet werden. Wenn dann ein Weinstein-Fall oder ein Reichelt-Fall durch die Presse gehen, dann wird bestätigt, was man schon wusste: Die Gesellschaft ist gegen Sexismus. Dass es in bestimmten Kreisen ein Schweigekartell gibt, steht auf einem anderen Blatt.

Was solche Skandale allerdings nicht beweisen: Die Gesellschaft ist sexistisch. Denn in einer sexistischen Gesellschaft wäre es ja kein Skandal, dass ein Mann Dinge tut, die man als Skandal begreift. Die Identitätspolitik besteht allerdings darauf, dass die westliche Gesellschaft sexistisch wäre, weil man glaubt, von einem einzelnen Fall auf die Gesellschaft schliessen zur dürfen. Aber eine Gesellschaft, in der Frauen wirklich systematisch in sexistisch betrachtet werden, gibt es diese Skandale gar nicht. Dort wäre es ja normal, die Frau schlecht zu behandeln. Und genau diese Gesellschaft könnte man dann als strukurell sexistisch bezeichnen, gerade weil es dort die Skandale nicht gäbe.  

Skandale sind also nicht schlecht. Im Gegenteil. Sie sind vermutlich notwendig, um an die allgemeinen Standards zu erinnern, wobei man natürlich auch mal fragen sollte, wer der Skandal-Gatekeeper ist. Aber sie sind jedenfalls nicht Ausdruck des strukturellen Sexismus, wie behauptet wird, sondern Ausdruck dessen, dass es eben keinen systematischen Sexismus gibt. Und so ist es ja wohl klar, dass in einer rassistischen Sklavenhaltergesellschaft ein Mord an einem Schwarzen durch einen Polizisten kein Skandal gewesen wäre. Auch das kann er nur in einer Gesellschaft sein, die nicht strukturell rassistisch ist, in der es allerdings rassistisches Verhalten im Einzelfall geben kann. Ich weiss schon, dass ID-Fans das nicht so sehen koennen. Immerhin würde ihnen sonst das Geschäftsmodell wegbrechen. Darum werden sie weiterhin Skandale als Beweis für ihre Weltsicht interpretieren müssen und entsprechend viele produzieren.

Christian Kümpel

Bild: Pixabay