Die Identitären haben es auch nicht einfach

Die Identitären, das ist eine Bewegung auf der rechten Seite des politischen Spektrums, die sich ebenfalls sehr mit Identität beschäftigen. Sicher auch deshalb, weil sie wie andere glauben, der Schlüssel zur Welterklärung läge in dem, was Identität ausmacht. So wie ich es verstehe, betrachten sie die Welt als Ansammlung von ethnisch und kulturell geschlossenen Gruppen, die überzeitlich sind. Jeder in seinem Gehäuse mit seinen typischen Eigenschaften. Woher kommt ihre Idee? Im letzten Jahrhundert haben französische Ethnologen die Forderung aufgemacht, dass man kleinere Völker schützen müsse. Immerhin waren und sind diese Völker bedroht durch Krankheit, moderne Zivilisation und Migration. In der Folge bemüht man sich, bestimmte Stämme zum Beispiel im brasilianischen Urwald kontaktfrei zu halten. 

Der Trick besteht nun darin, auch die Franzosen oder Deutsche zu einem bedrohten Volk à la brasilienne zu machen, die ein Recht darauf hätten, unvermischt weiter zu existieren und ihre Eigenart zu pflegen. Einwanderung aus anderen Regionen wäre daher zu vermeiden. Allerdings stellen sich da dem Beobachter einige Fragen. Zunächst einmal kann man die Deutschen vermutlich kaum mit einem Stamm von 1000 Personen im Urwald vergleichen. Sie sind durch ihre schiere Größe eine Gemeinschaft, bei der die einzelnen Mitglieder kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen wären. Dann sind die Deutschen ja bereits immer schon ein multiethnisches Volk gewesen. Germanen, Kelten, Slawen sind die Ursprünge. Und da kam da in der letzten Zeit noch einiges hinzu. Das ist also ein ganz schöner Völker-Mischmasch. Schließlich sind die Deutschen, wenn man den Faktor Zeit ins Spiel bringt, immer im Werden gewesen. Sie sind daher auch ein offenes System, das auf Veränderungen ausgelegt ist, auch wenn die Veränderungen oft die Grenzen des Zumutbaren berührten.

Anders gesagt: Die Deutschen sind sicher vieles, aber kein Indianerstamm. Und dann muss es angesichts der Festlegungen auch ziemlich anstrengend sein, identitär zu sein. Das fängt schon bei der Frage an, was nun einen Deutschen ausmachen soll. Während man vielleicht vor 80 Jahren sagen konnte, dass der Deutsche herrisch und gewaltbereit war, erscheint er heute eher genderliquide und soft. Und vermutlich sind beide Aussagen sogar falsch, jedenfalls nicht auf Dauer gestellt. Bei den meisten Qualifikationen zum Thema, was ist deutsch, hört man eigentlich schon den Einspruch. Daher sollte man es vermutlich besser lassen, eine abschließende Definition zu suchen. Wenn man den Wind ergreift, greift man ins Leere.

Doch der Identitäre kann nicht anders. Er braucht ja ein geschlossenes Bild, um überhaupt zu wissen, was da geschützt werden soll. Und da wird es ganz schnell komisch. Ist die Kartoffel typisch deutsch, obwohl sie aus Amerika kommt? Und muss sie bewahrt werden? Ist der Deutsche immer hellhäutig und wenn ja, welche Hautstufe geht da noch als deutsch durch? Muss man, um als deutsch bezeichnet werden, pünktlich sein, oder verliert man seinen Status, wenn man sich häufig verspätet? Am Ende wird sich der Identitäre für ein Bild entscheiden, dass er mit Macht verteidigt, nicht ohne das Risiko sich lächerlich zu machen. Und das wird man als Verfechter des Essentialismus´ ja auch schnell in einer Welt, die sehr dynamisch ist. Und er braucht natürlich eine Gegenbild, um sich seiner selbst zu vergewisssern. Das wird dann ebenfalls essentialistisch eingerahmt.

Wir anderen sind jedoch gut beraten, uns nicht zu sehr festzulegen. Allerdings kann man auch nicht empfehlen, einfach zu behaupten, deutsch wäre alles, was der Fall ist. Dann endet man in einer Beliebigkeit, die an Schizophrenie grenzt, wo ja auch die einzelnen Teile keinen Bezug mehr zueinander haben und das Ganze zerfällt. Am besten ist es, man bleibt flexibel, legt sich nicht zu sehr fest und achtet darauf, dass man nun nicht alles zum typisch Deutschen erklärt, was da so hereingeweht wird. Da kann es schon mal erlaubt sein, deutschen Taliban mit vier Ehefrauen das Deutschsein abzusprechen. Anders gesagt: Wie meist ist es empfehlenswert den Mittelweg zu beschreiten. Da geht es sich am besten und man kommt am weitesten, auch wenn man für die begriffliche Unschärfe einen Preis bezahlen muss. Wie breit oder wie schmall der Mittelweg dann sein soll, muss dann politisch verhandelt werden.

Christian Kümpel

Bild: Pixabay