Bin ich, was ich fühle?

Jeder Mensch kann tut, was er will. Aber er kann nicht wollen, was er will. Dieser Gedanke ist von Schopenhauer. Er meint damit, dass unsere Freiheit irgendwie auf Sand gebaut ist. Anders gesagt: Wir fühlen uns frei, aber wir sind es nicht. Darum spricht man ungerne darüber, warum man will, was man will.

Und wie steht es um das Gefühl? Ist das einfach so da? Oder gibt es Voraussetzungen für die Gefühle?

Fühlen ist zurzeit ganz groß in Mode. Man hat daher den Eindruck, der Mensch wäre nicht Geschöpf der Umwelt, der Sozialisation oder gar der Institutionen. Vielmehr scheint er nun die Summe seiner Gefühle zu sein. Und so geschieht es, dass eine Person, die aussieht wie ein Mann, die erzogen wurde wie ein Mann und die grundsätzlich wie ein Mann behandelt wurde, tatsächlich eine Frau wäre, wenn er entsprechend fühlt.

Nun gab es ja mal eine Zeit, da hieß es: Trau deinen Gefühlen nicht allzu sehr, halte Distanz zu deinen Gefühlen. Sie täuschen dich leicht. Man konnte sogar Gefühle vortäuschen, um sich Vorteile zu verschaffen. Das erweckte Misstrauen. Kurz: Gefühle hatten zumindest einen zweifelhaften Ruf. Deshalb hieß es sogar noch in den 80igern, man solle möglichst cool daherkommen. Diese gefühlige, sentimentale und honigartige Art der Hippies war verpönt. Dieser Betroffenheitspathos erschien lächerlich. Da hat sich was verändert. Jetzt heißt es: Stell bloß meine Gefühle nicht in Frage. Denn ich bin, was ich fühle.

Gefühle kommen aber vermutlich nicht einfach so daher. Sie haben Auslöser. Was löst dann aber das Gefühl aus, eine Frau zu sein, obwohl man ein Mann ist? Es könnte sein, dass man gerne etwas Besonders wäre. Die Eitelkeit, der Wunsch besonders zu sein und der Zwang seine Individualität möglichst drastisch auszuleben, könnte zu Gefühlen fühlen, die man so gar nicht in sich vermutete. Sicher kennt man auch das schöne Gefühl, andere zu schocken. Es verleiht Macht. Schließlich können bestimmte Gefühle auch von Moden ausgelöst werden, die in den Sozialen Medien transportiert werden. Die Gründe für bestimmte Gefühle sind also mannigfach. In Frage gestellt werden, dürfen sie aber jetzt aber nicht mehr. Denn Gefühle wären authentisch, heißt es. Und authentisch, das bedeutet heutzutage, das kann nicht hinterfragt werden. Soll das heißen, man darf eigentlich über alles reden, aber nicht mehr über die Ursache meiner Gefühle? Dann hätte Schopenhauer in der Tat recht, auch was Gefühle betrifft.

Christian Kümpel

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Kassler Kindergartendrama

Die Geschichte ging so: Queere Person bringt Kind in den Kindergarten zur Eingewöhnung. Queere Person bringt auch queere Literatur mit. Queere Person möchte, dass die Kinder lernen: Auch Männer könnten Kinder bekommen. Kindergarten kündigte in der Probezeit. Aufschrei wegen Diskriminierung.

Doch Diskriminierung liegt wohl nicht vor. Oder, so fragt Tichys Einblick, wäre es denn anders gekommen, wenn ein Kernkraftbefürworter entsprechende Literatur mitgebracht hätte, um die Kleinen zu „informieren“. Bildung sollte nur durch das geschulte Personal vermittelt werden. Sonst kommen noch mehr berufene Väter oder Mütter mit ihren kruden Themen und verunsichern die Kinder. Und, so gibt man zu bedenken, nicht alle Eltern finden das gut.

Doch Reinhard Jarka macht noch auf einen anderen Umstand aufmerksam. Es geht um die Mechanismen, mit denen die Transaktivisten arbeiten, nachdem sie es bereits geschafft haben, die kulturelle und politische Dominanz herzustellen. Zunächst begeben sie sich in die Einrichtung. Dann provozieren sie einen Eklat, um sich als Opfer zu inszenieren. Schließlich kommen die Medien, und machen die Einrichtung fertig. Darauf gibt man klein bei. So das Kalkül. Der Gewinn: 15 Minuten Ruhm. Kennt man ja von Andy Warhol.

Doch wie man sieht, funktioniert das nicht immer. Dazu braucht es allerdings ein bisschen Mut auf Seiten der Institution. Es gibt ihn anscheinend noch.

Hier soll natürlich auch nicht verschwiegen werden, dass das Kind der queeren Person durchaus einen Schaden davontragen könnte. Zum einen schon deshalb, weil bei solchen Auftritten der Bezugsperson durchaus Schameffekte möglich sind. Zum anderen, weil die anderen Kinder sicher auf so ein exzentrisches Verhalten reagieren werden, und zwar zum Schaden des Kindes. Wenn nicht im Kindergarten, so in der Schule. Die Frage stellt sich da: Was ist der Bezugsperson wichtiger, das Ausleben ihrer Queerhaftigkeit auf Kosten des Kindes oder das Aufwachsen des Schutzbefohlenen unter normalen Umständen? Wir kennen die Antwort vermutlich. Den Schaden, den Bhagwan-Eltern bei den Kleinen anrichteten, um ihr Selbst zu erweitern, scheint auch bei dem neuen Elterntyp nicht ins Gewicht zu fallen, solange man nur sein Ich pflegen kann.

Christian Kümpel

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Am deutschen Wesen …

Das führende deutsch Kunstmagazin Monopol meldet: “Hamburg gibt erste Benin-Bronzen an Nigeria zurück – Drittel bleibt. Exakt 179 von britischen Soldaten geraubte Kunstobjekte aus dem ehemaligen Königreich Benin befinden sich noch in Hamburg. Jetzt werden die ersten der wertvollen Kunstwerke zurückgegeben. Ihr Wert wird auf rund 60 Millionen Euro geschätzt”

Deutschland ist nicht nur im Kampf gegen den Klimawandel, sondern auch auf dem Gebiet der Entkolonialisierung ein großes Vorbild für den Rest der Welt.

Letztendlich muss es das Ziel sein ALLE geraubten Kulturgüter in deutschen Museen umsonst an afrikanische Stammesoberhäupter und Diktatoren zurückzugeben.

Für die in den deutschen Museen verbleibenden Leihgaben der “Raubkultur” unserer Vorfahren sollte nicht weniger als der gesamte deutsche Kulturetat zur Verfügung stehen.

Allein für die zukünftigen Mietzahlungen für die eigentlich unbezahlbare “Nofretete” an die ägyptische Putschisten-Regierung müsste grob geschätzt die Hälfte, der nach Corona eh unter dramatischen Mitgliederschwund leidenden deutschen Theater geschlossen werden.

Die postdramatischen Ensembles und ihre progressiven Intendanten werden dafür sicher volles Verständnis haben. So könnte man durch das schrittweise Herunterfahren des gesamten deutschen Kulturbetriebes den größten Teil der deutschen Schuld begleichen. Dieser in der Menschheitsgeschichte einmalige Vorgang würde das Ansehen Deutschlands in der Welt ins Einzigartige steigern und wahrscheinlich viele andere Nationen davon überzeugen – wie auch schon in der Klimakrise – dem deutschen Vorbild in eine bessere Welt zu folgen.

Umgangsformen

Es ist schon kurios, wie aggressiv man hierzulande miteinander umgeht. So steht in der letzten EMMA: „Jan Böhmermann diffamiert Menschen, die das geplante „Selbstbestimmungsgesetz“ kritisieren, als Nazis und „Scheißhaufen“. Staatssekretär Lehmann applaudiert.“ Gefordert wird nun der Rücktritt von Lehmann. Der ist immerhin Staatssekretär, allerdings für Queere-Fragen. Dennoch die Frage: Klatscht man bei solchen Äußerungen Beifall? Vor allem als hochrangiger Politiker?

Nun ist mir aber auch erinnerlich, wie die EMMA-Herausgeberin, Alice Schwarzer, vor Jahren die Ärztin Esther Villar im Fernsehen fertiggemacht hat. Dabei wurde sie von Schwarzer als Nazi bezeichnet, obwohl Villar jüdischer Abstammung ist. Dies wegen ihrer These, dass Frauen Männer manipulierten und unterdrückten. Das passte nicht in Schwarzers Weltbild: Bei Schwarzer ist es grundsätzlich immer umgekehrt: Männer unterdrücken Frauen. Davor wurde Villar übrigens von feministischen Aktivisten verprügelt, weshalb sie das Land verlassen hatte. Man sieht also: Hierzulande fehlt es nicht an Konzepten, sondern an Umgangsformen, und zwar schon länger.

Woran liegt es? An den steilen Thesen, die einen aggressiv machen? Nun, man darf ja gerne glauben, dass Männer das Grundübel seien oder dass Frauen Männer manipulieren oder dass es 67 Geschlechter gäbe. Das wäre aber kein Grund auszuflippen. Es liegt vermutlich eher an einer Kultur, die mit Martin Luther sagt: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Diese Kultur hat sich verbunden mit dem Wahn, die Wahrheit gepachtet zu haben. Dass der Wahn die Person gepachtet hat, wird meist nicht geglaubt. Dabei spricht oft alles dafür, dass genau das der Fall ist. Schließlich gibt es natürlich noch die Lust an dem Schmerz des anderen, wenn der Gegner getroffen worden ist. Kindisch, aber so etwas mögen viele Menschen nun mal.

Statt also die Frage zu beantworten, ob Frauen nun unterdrückt werden oder ob es 67 Geschlechter gibt – Fragen, über die die Zeit irgendwann hinweggehen wird – wäre es vermutlich besser, an den Umgangsformen zu arbeiten. Sie wissen schon: Ich-Botschaften statt Du-Botschaften. Siezen statt Duzen. Nachsicht mit den Verrückten. Gepflegte Ironie und vor allem immer eine innere und äußere Distanz. Am besten auch zu sich selbst. Wenn man dann noch aufhörte, eine Kultur zu pflegen, die den anderen für vogelfrei erklärt, weil er ein Nazi, ein Liberaler oder von mir aus auch ein durchgeknallter Linker wäre, um dann sein Mütchen an ihm zu kühlen, wäre viel gewonnen.

Anders gesagt: Wir bräuchten wieder mehr Form. Inhalte gibt es schon genug.

Christian Kümpel

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Die Kurt-Krömer-Katastrophe

Unterm Strich steht die Kurt-Krömer-Katastrophe für die endgültige Niederlage einer postmodernen weissen Medienelite, die jahrzehntelang ein moralisches “Anything goes!” gepredigt hat und jetzt in der Rolle der progressiven Moralapostel vollkommen unglaubwürdig rüberkommt.

Dass es eine Niederlage gegen eine junge politisch unkorrekte Generation von Migranten ist, hat damit zu tun, dass allen anderen Kritikern Sprechverbote im öffentlichen Raum der Progressiven erteilt wurde.

Ey, du Opfer!

Nietzsche sprach noch vom Übermenschen. Das Christentum war ihm dagegen die Religion der Schwachen, der Opfer. Die Zukunft sollte seiner Meinung nach dem Supermann gehören. Wie es aussieht, hat er sich geirrt. Wir leben im Zeitalter der Opfer, der Schwachen und ihres Kults.

Heute wollen alle Opfer sein und feiern das. Die Identitätspolitik macht es möglich. Ob Schwarzer, Frau oder Homosexueller, man hat Grund genußvoll zu jammern. Doch auch die alten weißen konservativen Männer weinen und klage mit Gusto. Dazu die Soziologin Eva Illouz in der FAZ: „Die Republikaner waren die Partei derer, die mit den Zähnen knirschten, sich niemals beschwerten, glücklich mit ihren Privilegien waren und ihre Emotionen kontrollierten. Das hat sich geändert. Nun fühlen sie sich als Opfer derer, die Menschen ihrer Redefreiheit berauben.“

Dass sie sich als Opfer fühlen, mag verständlich sein. Denn in der heutigen Gesellschaft zählt man nur, wenn man Opfer ist. Ein Opfer zu sein, das ist sozusagen das größte Distinktionsmerkmal der Postmoderne. Doch der Preis für dieses neue Ideal ist hoch. Denn um Opfer zu sein, muss man sich anhören wie ein Opfer. Und so klingen die Linke und Rechte heutzutage eben alle unfassbar weinerlich, auch wenn sich dabei gerechter oder ungerechter Zorn untermischt.

Es ist vermutlich kein Zufall, dass noch vor wenigen Jahren Schwächlinge, oder solche, die man dafür hält, mit Opfer angesprochen wurden. Ihnen galt die Verachtung des Streetfighters. Aber die Opferpose oder vielmehr die Opferposse setzt sich durch und passt zu der heutigen Gesellschaft. Denn nichts entspricht besser der Kombination von Individualisierung bei gleichzeitiger Gruppenbildung als die Opferrolle. Sie ist sozusagen die Schnittstelle des Ich mit dem Wir.

So wie man sich früher eben als Deutscher oder Katholik gefühlt hat, so fühlt man sich jetzt als Opfer im Opferkollektiv, ohne in der Gruppe emotional vollkommen aufzugehen. Das Opfersein ist sozusagen das, was die Gesellschaft hervorbringt und zusammenhält.

Wird das so bleiben? Vermutlich nicht. Denn wenn nun alle Opfer sind, könnte es bald so weit sein, dass einige aus der Opferrolle aussteigen wollen. Immerhin ist ja nichts besonders daran, Opfer zu sein bei dieser Inflationierung. So wie alle zu sein, dass ist in einer Gesellschaft der Individuen, oder der Gesellschaft von Menschen, die sich für Individuen halten, vermutlich das größte Verbrechen. Zynismus wäre in diesem geistigen Umfeld eigentlich der nächste Schritt, um wieder als Mensch erkennbar zu werden, der kein Opfer sein möchte. Und natürlich das selige Gefühl der Verachtung.

Christian Kümpel

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Weibliche Pseudowissenschaft

Katrine Marcal, eine schwedische Journalistin, erklärt laut Deutschland Radio in ihren Büchern, dass in einer männlich dominierten Welt, die vor allem den Vorstellungen eines Geschlechts folgt, die Hälfte des menschlichen Potentials brach liege. Eins ihrer Beispiele dafür, was für ein Potential man in einer Welt hätte, wenn die Frauen endlich mehr gewürdigt würden: Der Rollkoffer wurde erst erfunden, als es ein neues Rollenverständnis gab und mehr Frauen alleine reisten, also in den 70iger Jahren. Rainer Hank fragt in der FAS, ob die Erfindung des Rollkoffers nicht eher etwas damit zu tun habe, dass es keine Kofferträger mehr gab, die sich die Arbeit des Koffertragens antun wollten. Das hört sich zwar viel plausibler an, passt aber nicht ins Narrativ. Erfindungen werden also nur möglich durch Paradigma-Wechsel, wenn man dem feministischen Konstruktivismus folgt. Aber ist das nicht vielleicht selbst auch nur ein Metastory im Sinne der feministischen Märchenerzählungsindustrie.

Wenn man die Welt mit der Brille des Feministen betrachtet, dann findet man immer dieselbe Muster. So hat Marcel auch „entdeckt“, dass das Elektroauto sich nur deshalb in einer Männerwelt nicht durchsetzen konnte, weil es als weich und weiblich galt. Mit dem billigen Benzin hätte es nichts zu tun gehabt. Aha! Heutzutage hätte Tesla demnach eine Chance, weil Männer jetzt Elektroautos vermännlicht hätten, muss man schlussfolgern.

Dazu fällt mir ein, dass Marlborro mal eine Frauenzigarette war. Die konnte erst von Männern geraucht werden, als die Werbung auf die Cowboys kam. Allerdings war das ja wohl keine Erfindung, sondern ein Rebranding. Und wer erinnert sich nicht an die Handtäschchen, die Männer in den 70iger oder 80iger Jahren trugen. Nur möglich, weil Männer die Vorteile der Tasche entdecken durften, ohne durch das Tragen als unweiblich zu gelten. Und dass Männer sich jetzt überall rasieren, wem verdanken wir das? Genau! Doch es geht ja bei Marcal um das weibliche Potential, das angeblich brach liegen soll, weil wir in einer Männerwelt leben, oder besser gesagt: lebten! Was hat sich also geändert?

Jüngst durfte man dazu im „Spiegel“ lesen: Es gibt in Deutschland immer mehr Frauen, die Akademiker sind. Doch nur „jedes zehnte Patent wird hierzulande von einer Frau angemeldet. Damit steht Deutschland in Europa schlecht da – vom Vergleich mit Asien ganz zu schweigen.“ Warum? Möglicherweise, weil sich Frauen hierzulande in Europa mit Pseudowissenschaften wie Genderforschung und Konstruktivismus beschäftigen statt mit Technik. Ändern wird sich das aber kaum. Denn mit den Pseudowissenschaften hat man in dieser Gesellschaft die Deutungshoheit. Und auf die kommt es an.

Frauen werden also vermutlich weiterhin Womensplaining betreiben. So auch im Deutschlandfunk. Da hieß es über das Buch, das übrigens von einer Frau besprochen wurde: „Sie (Marcal) seziert gesellschaftliche Entwicklungen und kommt dabei von historischen Einzelbeispielen zu den Problemen der heutigen Zeit: Der Klimawandel als Folge eines zu „männlich“ geprägten Umgangs mit der Welt.“ Als ob man es nicht geahnt hätte.

Christian Kümpel

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Bedingungsloses Grundeinkommen

Das Magazin 37 Grad präsentiert ein romantisches Feature zum Bedingungslosen Grundeinkommen über Linda. Linda hat ihren Job an den Nagel gehangen und ist jetzt “Künstlerin und Speakerin” … Ach du liebe Zeit, ich glaube ich muss da mal kurz was loswerden:

Für die bürgerliche Mittelklasse war schon immer der Status prägend. Durch die 68er kam in Konkurrenz zum Status das Prinzip Selbstverwirklichung dazu.

In der heutigen sog. “Neuen Akademischen Mittelklasse” (Reckwitz) fusionierten in den hochbezahlten kreativen Milieus der Wissensökonomien Status und Selbstverwirklichung.
In diesen sehr wohlhabenden Akademiker-Kreisen gilt es als chic den für das harte Arbeitsleben der Eliten ungeeigneten Teil ihres Nachwuches eine Künstlerkariere zu sponsern.

Ausstellungen und Ateliers sind voll von diesen hochsensiblen Bürgerkindern.
Durch Inflation, Wirtschaftskrise und dem Wegbrechen der großzügigen Kulturförderungen in Deutschland wird es in den nächsten Jahren eng werden für diese Zöglinge aus gutem Hause.

Wenn Vater Staat jetzt auch noch den breiten Massen der Mehr – und Wenigertalentierten dieses Künstlerleben finanzieren wird, passiert etwas ganz dramatisches: Dieses Leben hört auf Bohème zusein. Weil jeder es haben kann, hört es auch auf einzigartig zu sein und wird wie Massentourismus und Aldi.

Die kreative Bourgeoisie wird sich neu Felder für die Entwicklung ihrer zarten Zöglinge suchen müssen.

Ist es bald vorbei?

Moral war früher ein Luxusgut. Ärmere Leute haben nämlich meist andere Sorgen als Pseudo-Diskriminierung oder ethische Fragen zu veganem Essen. Sie wollen besser leben. Doch seit einiger Zeit geht es allen besser. Da kann man sich auch Moralismus leisten.  

Allerdings scheint die Aufwärtsbewegung nun abzubrechen. Denn eine Krise jagt die nächste. Dass es nochmal besser wird, glauben die wenigsten. Die wirtschaftliche Entwicklung scheint nur eine Richtung zu kennen. Was bedeutet das für die Identitätskrieger und ihre hypermoralische Agenda?

In der FAZ stellen Benjamin Enke und Matthias Polborn die Frage, warum sich westliche Länder immer mehr polarisieren. Ihre Antwort: Reiche wählten früher konservativ. Weniger Reiche wählten links. Nun wählen Reiche links, weil sie sich moralisches Wahlverhalten leisten können. Und die linken Parteien mit ihren neuen Themen haben ihnen da einiges zu bieten.

Doch die eher ärmeren Schichten, die von der linken Agenda eher abgestoßen werden, weil sie gesellschaftspolitisch konservativ sind, wählen dafür jetzt rechts, obwohl das gegen ihre wirtschaftlichen Interessen sein könnte. Das gefällt nicht allen Linken, zum Beispiel Frau Wagenknecht. Sie möchte sie zurückholen, durch eine konservative Agenda, die aber das soziale betont.

Doch was passiert, wenn es nun nur noch ums liebe Geld geht, und zwar nicht nur bei den Armen, sondern auch bei den eher reichen Bürgern, wenn sich der Wind eben heftig dreht? Dann müsste eigentlich auch Moral wieder das werden, was es immer schon war: ein entbehrliches Luxusgut.

Dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass die die gute alte Unterscheidung reich/arm die Unterscheidung moralisch/amoralisch wieder ablöst. So wie es ja früher immer war. Für Wagenknecht als Linke wäre die Krise so gesehen eine Chance. Denn ihre Klientel könnte sich von linken Parteien, die sich nur der sozialen Frage widmen, und zwar ohne Gedöns, wieder angesprochen fühlen. Und die ärmeren Reichen werden dann vielleicht ganz neue Werte entdecken, nämlich den Wert, die Kohle zusammenzuhalten. Lassen wir uns überraschen.

Christian Kümpel

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Das große Versprechen

Reife, das ist die Einsicht, dass die Welt nicht perfekt ist und auch niemals sein wird. Der Trost für diejenigen, die so denken, besteht zumindest für die Gläubigen unter uns darin, dass nach dem Tod eine Chance auf Perfektion besteht, sei es die nachholende Gerechtigkeit durch Gott oder das perfekte Leben im Paradies. Viele glaubten, sie hätten es verdient. Alle anderen lernen, einigermaßen damit klarzukommen, dass gerade das Nicht-Perfekte das Leben ausmacht und wenig Hoffnung auf Perfektion besteht. Wenn die Welt für 80 Prozent einigermaßen passt, dann wäre schon viel erreicht.

Doch zurzeit obsiegt wieder einmal das Narrativ von der Welt als Jammertal. Alles ist schlecht für alle, außer für ein paar alte weiße Männer. Gar nicht mal so untypisch ist daran, dass es den Leuten zwar noch nie so gut gegangen ist, aber das Elend sich gefühlt jeden Tag vergrößert. Nur das nun nicht mehr der Teufel oder der Mensch an und für sich, die dafür verantwortlich sind. Nein, es sind jetzt die Strukturen. Es ist der strukturelle Rassismus, die strukturelle Frauendiskriminierung oder das strukturelle Nord-Süd-Gefälle. Die Probleme sind eben strukturell.

Das Dumme an sozialen Strukturen ist allerdings, dass man sie nicht sehen kann. Man kann sie nur indirekt nachweisen. Nehmen wir einmal an die Frauen – wie übrigens fast immer von privilegierten Frauen behauptet wird – seien durch gesellschaftliche Kräfte benachteiligt. Das würde bedeuten, dass Frauen weniger Chancen haben, zum Beispiel Kanzler zu werden. Fakt ist: Bis jetzt sind mehr Männer in der Politik als Frauen. Wäre das dann der Beweis für strukturelle Benachteiligung? Oder vielleicht doch eher dafür, dass sich Frauen insgesamt weniger für Politik interessieren? Und wäre das strukturell oder vielmehr biologisch? Wer weiß? Aber strukturell hört sich in jedem Fall erstmal gut an. Vor allem in Verbindung mit Diskriminierung.

Wahrhaft Liberale meinen, es genüge, wenn man eine Chance bekommt auf einen Posten. Insofern ist das System in Ordnung, wenn es einigermaßen durchlässig erscheint. Nach Strukturen fragt man da nicht. Illiberale erklären dagegen, wenn die Strukturen nicht wären, dann würden mehr Frauen, mehr Schwarze, mehr Arme ein Stück vom Kuchen bekommen. Und weil sie nur Krümel bekämen, müsse man die Strukturen aufbrechen. Zum Beispiel mit Quoten. Gibt es denn dann eine Garantie, dass die Strukturen andere wären und bessere wären? Vermutlich nicht, wenn man weiterhin den Moment für sich nutzen möchte, um andere vor sich herzutreiben. Die Strukturen sind schließlich allgegenwärtig und unfassbar.

Und so ist es naheliegend, zu behaupten, dass Gleichstellung nur der Anfang sein können im Kampf um die richtigen Strukturen. Überall müssten nun Frauen und Schwarze, Muslime und Menschen mit sexuell anderer Ausrichtung an die Macht. Vielleicht überall und für immer. Weiße alte Männer hätten dauerhaft zurückzustehen. Wegen der Strukturen, versteht sich.

Nun hegen einige den Verdacht, es gehe dabei nicht um strukturelle Gerechtigkeit, sondern um den strukturellen Kampf um die Fleischtöpfe. Die behauptete strukturelle Diskriminierung wäre dann jedenfalls nur ein Vehikel um kompetente weiße heterosexuelle Mitbewerber ohne Behinderung aus dem Rennen zu werfen, indem man ihnen strukturelle Vorteile andichtet. So wie eben früher der Nachbar beim Plausch mit der Hexe gesehen wurde.

Sollte das so sein, dann könnte es für die Anhängern der Poststrukturalisten am Ende zu einer großen Enttäuschung kommen, wenn man merkt, dass Leute, die ihren Job nur bekommen haben, weil sie schwarz oder transsexuell sind, nicht unbedingt geeignet sind für die Strukturen, in denen sie arbeiten sollen. Und was wird dieser Enttäuschung mit den Menschen machen? Vielleicht fangen sie dann wieder an, an eine Gerechtigkeit zu glauben, die nach dem Tod kommt. Denn in dieser Welt, wo nicht die Leistung entscheidet, sondern das Geschlecht, kann man in Punkto Gerechtigkeit gar nichts mehr erwarten.

Christian Kümpel

Bild: Pixabay