Helen Pluckrose und James Lindsay: Zynische Theorien

James Lindsay und Helen Pluckrose sind zwei Liberale aus dem angloamerikanischen Raum. Sie beschäftigen sich schon seit Jahren mit einer neuen politischen Religion, deren Erweckungsfeuer an den amerikanischen Eliteuniversitäten ihren Ursprung hatte und sich mittlerweile unter den akademischen Eliten ser ganzen westlichen Welt wie ein Lauffeuer ausgebreitet hat. Wir reden hier vom sogenannten Wokeism.

Die beiden Intellektuellen erklären die philosophischen Ursprünge dieser neuen Weltanschauung, die sie in der Kritischen Theorie der Frankfurter schule und der Postmodernen Philosophie Französischer Intellektueller wie Michel Focault verorten. Wie sich aus diesen Wurzeln im Laufe der Jahrzehnte destruktive neue Denkschulen wie z.B die Gender Studies, die Identitätspolitik, Critical Race Theory oder der Postkolonialismus entwickelt hat, das beschreiben beide Autoren spannend und mit einer Prise angloamerikanischem Humor.

Dies ist das vielleicht wichtigste Buch, das bisher von Kritikern des Wokeism geschrieben wurde. Jeder der sich für diese neuen zynischen Theorien interessiert, sollte dieses Buch gelesen haben. Eine Leseprobe wurde auf Perlentaucher.de veröffentlicht. Ihr findet den Link in der Anlage.

Reinhard Jarka

Auszug aus dem zweiten Kapitel: “Die Wende zum angewandten Postmodernismus – Repression sichtbar machen”<<
https://www.perlentaucher.de/vorgeblaettert/lesesprobe-helen-pluckrose-und-james-lindsay-zynische-theorien.html

Minderheitenpower

Erstaunlich, wie oft Minderheiten Mehrheiten beeinflussen. Doch wie kommt das eigentlich, dass Minderheiten ihre Positionen durchsetzen können? Immerhin heißt es doch, die Mehrheit herrscht. Dass die Mehrheit entscheidet, ist offensichtlich nicht immer der Fall. So gab es zwar in Deutschland eine Mehrheit, die meint, dass Frauen Frauen und Männer Männer sind. Doch schon jetzt heißt es auch bei uns: Frauen sind nur ein soziales Konstrukt. Es gibt sie in Wirklichkeit nicht. Deshalb kann auch ein Mann eine Frau sein, wenn er das wünscht.

Doch wie läuft das konkret, dass Minderheiten sich mit ihren oft abwegigen Meinungen durchsetzen. Wie hat es zum Beispiel Hitler und seine Gang geschafft, den Leuten einzureden, es wäre das Beste, bestimmte Gruppen auszugrenzen und zu vernichten? Oder wie ist es Mao gelungen, die Leute glauben zu machen, man müsse alle Vögel töten, um eine bessere Ernte zu erreichen, worauf es eine Insektenplage gab?

Zunächst einmal braucht man eine Minderheit, die ihrer Sache ganz sicher ist. Dabei gilt: Je sicherer das Auftreten, umso eher drückt man seine Meinung durch. Dass das funktioniert, hat man in einem Farbexperiment in den 60igern herausgefunden. Versuchspersonen, die in Gruppen aufgeteilt wurden, hat man blaue Dias gezeigt. Wenn eine Minderheit dabei konsistent erklärte, dass das Dia grün sei, änderte ein Teil der Versuchspersonen aus der Mehrheitsgruppe seine Meinung. Man sieht also: Alles ist möglich, wenn man nur bei seiner Meinung bleibt. Dabei muss man aber auch schon mal eine Durststrecke in Kauf nehmen.

Richtig, es kann durchaus abtörnend sein, wenn man sich zu rigide auf den Standpunkt stellt, das Dia wäre grün. Besser man erklärt: Für uns ist das Dia grün. Wenn es für dich das Grün ins Blaue hineinspielt, dann kann ich damit leben, solange du erkennst: Das Dia ist im Wesentlichen grün. Pseudotoleranz kommt eben immer gut an. Und wenn man irgendwann die Macht und die Mehrheit hat, kann man ja immer noch nachlegen.  

Weiter macht sich die Minderheit zu Nutze, dass die Mehrheit konfliktscheu ist. Viele denken eben: Wenn euch so viel daran liegt, dass das Dia grün ist, dann sei es so. Immerhin wollen wir an so einer Lappalie die Gemeinsamkeit nicht scheitern lassen. Und dann gibt es ja auch Belohnungen. Wer sich zu den grünen Dias bekennt, wird vielleicht für besonders progressiv gehalten. Oder für besonders intelligent. Und so glauben sicher einige am Ende: Grün ist doch nur ein anderes Wort für blau.

Wenn man allerdings in größeren Dimensionen denkt, ist es dennoch unabdingbar, dass man die Schaltstellen der Macht erobert. Dies geschieht, indem man in den Kindergärten, Schulen und Unis seine Meinung verankert, und zwar peu à peu. Dann wird das Thema, das einen am Herzen liegt, sehr bald auch in der Wirtschaft, der Politik und der Werbung eine Rolle spielen, spätestens wenn die Kleinen groß geworden sind. Anders gesagt, wir reden hier von einem Generationenprojekt.

Fazit: Auch Minderheiten können also Mehrheiten beeinflussen, wenn sie Konsistenz zeigen und machtbewusst sind. Und so können Nazis, Kommunisten, Islamisten oder andere Extreme der Mehrheit ihren Stempel aufdrücken. Weil sie es zulässt. Allerdings muss die Minderheit dabei darauf achten, dass man mit einer Stimme spricht. Denn wenn die Minderheiten irgendwann in viele verschiedene kleinere Minderheiten zerbröseln, beginnt irgendwann das Spiel von vorne. Zum Beispiel dann, wenn auf einmal einige Frauen darauf beharren, dass Frauen Frauen und Männer Männer sind und es ihnen gelingt, einige von der Mehrheitsgruppe auf ihre Seite zu ziehen. Irgendwann in ferner Zukunft könnte dann dies jetzt noch Unvorstellbare tatsächlich geschehen.

Christian Kümpel

Bild: Pixybay

Der autoritäre Charakter

Ich gebe sofort zu, dass ich nicht gut bin beim Thema Ambiguitätstoleranz. Zum Beispiel bereitet mir Conchita Wurst Unbehagen. Eine Frau, die ein Bart trägt, aber eigentlich ein Mann ist, löst bei mir keine positiven oder neutralen Gefühle aus, eher Ablehnung. Ebenso finde ich es befremdlich, wenn hübsche junge Frauen furchtbar fluchen. Schließlich gefällt es mir nicht, wenn kleine Kinder so reden, als wären sie erwachsen.  

Damit gehöre ich wohl, wenn es nach der Sozialpsychologie geht, zu den Menschen, die Ambiguität nicht gut aushalten. Schlimmer noch. Nach Else Frenkel-Brunswik, die zu dem Thema geforscht hat, bin ich vermutlich in meiner Persönlichkeitsstruktur starr, unflexibel und zwanghaft. Zu solchen Menschen wurde nach dem Krieg geforscht, um die Gründe für den Aufstieg des Nationalsozialismus zu klären. Da kam dann einiges zu Tage. Das Ergebnis für mich: Vermutlich gehöre auch ich zu den autoritären Persönlichkeiten, die Adorno und andere für gefährlich hielten. Und tatsächlich weiß auch ich – im Gegensatz zu all den Selbstgerechten – nicht genau, wie ich 1933 gewählt hätte. Da bleibt immer ein nagender Zweifel, was meine überzeitliche negative Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus betrifft. Mit dem Makel der autoritären Persönlichkeit muss ich also leben.

Allerdings scheint es auch auf der linken Seite des politischen Spektrums nicht so weit her zu sein mit der Ambiguitätstoleranz. Einige können es kaum ertragen, dass der Philosoph Kant Dinge geschrieben hat, die nicht ganz so gut zu seinem Image als Aufklärer passen. Seiner Ansicht nach hätte das warme Klima den Afrikaner faul und weichlich gemacht. Sicher im Licht heutiger Erkenntnis eine eher abwegige Meinung. Aber reicht das schon, um Kant als Philosoph nicht mehr auszuhalten? Und was ist mit der Forderung, Straßennamen zu ändern, weil die Namensträger nicht immer politisch korrekt gehandelt haben? Zeugt das von einer offenen Persönlichkeit oder nicht vielmehr davon, dass man nur das Helle und das Dunkle kennt? Schließlich auch die Frage, welche Rückschlüsse es auf den Charakter zulässt, wenn man fordert, dass Welt-Literatur umgeschrieben werden muss, um den woken Ansprüchen zu genügen, weil darin das Wort N-Wort vorkommt. Und zwar in nicht-abwertender Absicht.

Man sieht also, dass die meisten es nicht so leicht haben mit der Ambiguitätstoleranz. Der autoritäre Charakter treibt überall sein Unwesen, sei es recht, links oder auch in der Mitte. Und vielleicht müssen wir lernen, auch das auszuhalten. Denn wie wäre es denn, wenn jedermann ein Ambiguitätstoleranter wäre, der alles problemlos schluckte? Wie könnte man das noch von Gleichgültigkeit unterscheiden? Wer alles aushält in einer Welt der kognitiven Dissonanzen, kommt sicher mit allem zurecht. Doch ist das erstrebenswert? Sollte man nicht auch mal sagen dürfen, dass man etwas nicht gut findet, auch wenn das nicht dem Zeitgeist entspricht? Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass man nicht zur Mimose wird und sich damit abfindet, nicht alles ändern zu können. Denn das wird man nicht. Und sonst kommt man in einer Welt, in der Conchita Wurst ein Sternchen ist, auch nicht über den Tag.

Die Identitären haben es auch nicht einfach

Die Identitären, das ist eine Bewegung auf der rechten Seite des politischen Spektrums, die sich ebenfalls sehr mit Identität beschäftigen. Sicher auch deshalb, weil sie wie andere glauben, der Schlüssel zur Welterklärung läge in dem, was Identität ausmacht. So wie ich es verstehe, betrachten sie die Welt als Ansammlung von ethnisch und kulturell geschlossenen Gruppen, die überzeitlich sind. Jeder in seinem Gehäuse mit seinen typischen Eigenschaften. Woher kommt ihre Idee? Im letzten Jahrhundert haben französische Ethnologen die Forderung aufgemacht, dass man kleinere Völker schützen müsse. Immerhin waren und sind diese Völker bedroht durch Krankheit, moderne Zivilisation und Migration. In der Folge bemüht man sich, bestimmte Stämme zum Beispiel im brasilianischen Urwald kontaktfrei zu halten. 

Der Trick besteht nun darin, auch die Franzosen oder Deutsche zu einem bedrohten Volk à la brasilienne zu machen, die ein Recht darauf hätten, unvermischt weiter zu existieren und ihre Eigenart zu pflegen. Einwanderung aus anderen Regionen wäre daher zu vermeiden. Allerdings stellen sich da dem Beobachter einige Fragen. Zunächst einmal kann man die Deutschen vermutlich kaum mit einem Stamm von 1000 Personen im Urwald vergleichen. Sie sind durch ihre schiere Größe eine Gemeinschaft, bei der die einzelnen Mitglieder kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen wären. Dann sind die Deutschen ja bereits immer schon ein multiethnisches Volk gewesen. Germanen, Kelten, Slawen sind die Ursprünge. Und da kam da in der letzten Zeit noch einiges hinzu. Das ist also ein ganz schöner Völker-Mischmasch. Schließlich sind die Deutschen, wenn man den Faktor Zeit ins Spiel bringt, immer im Werden gewesen. Sie sind daher auch ein offenes System, das auf Veränderungen ausgelegt ist, auch wenn die Veränderungen oft die Grenzen des Zumutbaren berührten.

Anders gesagt: Die Deutschen sind sicher vieles, aber kein Indianerstamm. Und dann muss es angesichts der Festlegungen auch ziemlich anstrengend sein, identitär zu sein. Das fängt schon bei der Frage an, was nun einen Deutschen ausmachen soll. Während man vielleicht vor 80 Jahren sagen konnte, dass der Deutsche herrisch und gewaltbereit war, erscheint er heute eher genderliquide und soft. Und vermutlich sind beide Aussagen sogar falsch, jedenfalls nicht auf Dauer gestellt. Bei den meisten Qualifikationen zum Thema, was ist deutsch, hört man eigentlich schon den Einspruch. Daher sollte man es vermutlich besser lassen, eine abschließende Definition zu suchen. Wenn man den Wind ergreift, greift man ins Leere.

Doch der Identitäre kann nicht anders. Er braucht ja ein geschlossenes Bild, um überhaupt zu wissen, was da geschützt werden soll. Und da wird es ganz schnell komisch. Ist die Kartoffel typisch deutsch, obwohl sie aus Amerika kommt? Und muss sie bewahrt werden? Ist der Deutsche immer hellhäutig und wenn ja, welche Hautstufe geht da noch als deutsch durch? Muss man, um als deutsch bezeichnet werden, pünktlich sein, oder verliert man seinen Status, wenn man sich häufig verspätet? Am Ende wird sich der Identitäre für ein Bild entscheiden, dass er mit Macht verteidigt, nicht ohne das Risiko sich lächerlich zu machen. Und das wird man als Verfechter des Essentialismus´ ja auch schnell in einer Welt, die sehr dynamisch ist. Und er braucht natürlich eine Gegenbild, um sich seiner selbst zu vergewisssern. Das wird dann ebenfalls essentialistisch eingerahmt.

Wir anderen sind jedoch gut beraten, uns nicht zu sehr festzulegen. Allerdings kann man auch nicht empfehlen, einfach zu behaupten, deutsch wäre alles, was der Fall ist. Dann endet man in einer Beliebigkeit, die an Schizophrenie grenzt, wo ja auch die einzelnen Teile keinen Bezug mehr zueinander haben und das Ganze zerfällt. Am besten ist es, man bleibt flexibel, legt sich nicht zu sehr fest und achtet darauf, dass man nun nicht alles zum typisch Deutschen erklärt, was da so hereingeweht wird. Da kann es schon mal erlaubt sein, deutschen Taliban mit vier Ehefrauen das Deutschsein abzusprechen. Anders gesagt: Wie meist ist es empfehlenswert den Mittelweg zu beschreiten. Da geht es sich am besten und man kommt am weitesten, auch wenn man für die begriffliche Unschärfe einen Preis bezahlen muss. Wie breit oder wie schmall der Mittelweg dann sein soll, muss dann politisch verhandelt werden.

Christian Kümpel

Bild: Pixabay

Die Gruppe, du kannst ihr nicht entkommen

Der Vortrag war interessant. Es ging um Erkenntnisse der Sozialpsychologie. Ideen, die in anderen Gruppen entwickelt werden, können nur schwer übernommen werden, weil das Gruppendenken dies verhindert. Das nennt man Not-Invented-Here-Syndrom. Denn Ideen von anderen sind per se mies. Nur Ideen aus der eigenen Gruppe sind was wert. Wenn man aber den freien Fluss von guten Ideen durch Gruppendenken behindert, sollte man die Gruppen nicht am besten aufbrechen. Zum Beispiel mithilfe der Diversität.

Auch sonst erscheint Diversität als das Allheilmittel für die Leiden dieser Welt. Oder zumindest für die Probleme der Wirtschaft. Betriebe mit hohem Frauenanteil seien viel profitabler, weil da eben Frauen und Männer interagieren. Mag sein. Allerdings gibt es einen kleinen Haken. Denn, wie die Deutsche Welle schreibt, die Neuen wollen manchmal ihre Sitten und Gebräuche durchsetzen. Da gibt es dann Reibungen.

Aber vermutlich nicht lange. Denn sonst funktioniert die Gruppe ja auch nicht. Die vermeintliche Diversität, die propagiert wird, verwandelt sich sehr schnell. Wenn man ein Unternehmen wie Google nimmt, sitzen da in den Gruppen keine Armen, Kranken, Geistesschwachen oder gar Nazis. Da sitzen Menschen, die vielleicht unterschiedliche Hautfarben haben, sich aber von ihrem geistigen, ökomischen oder sozialen Hintergrund her sehr ähnlich sind oder sehr ähnlich werden. Und die vor allem klug und gut ausgebildet sind. Und diese Form Homogenität hindert sie überhaupt nicht daran, gute Ideen zu entwickeln, im Gegenteil. Dies allerdings in Konkurrenz zu anderen Gruppen, was ja auch beflügelnd sein kann.

Überhaupt, was die sogenannte Diversitätspolitik nicht leisten kann: Sie kann nicht verhindern, dass sich Menschen in Gruppen organisieren, die immer nach dem Schema der In- und Outgroups funktionieren. Und in den Ingroups findet man schnell das Gemeinsame. Sonst wäre es ja auch keine Gruppe. Und das ist dann die Ironie der Geschichte: Gruppendenken bekämpfen hieße, eine neue heterogene Gruppe zu bilden, in der die Gruppenmitglieder bald über saliente Eigenschaften Gruppenzugehörigkeitsgefühl herstellten und damit wieder homogen werden. Das könnte dann auch der Grund sein, warum Gruppen, die sich für divers halten auf den Beobachter gar nicht so besonders divers wirken. Vermutlich weil sie es auch gar nicht sind.

Christian Kümpel

Bild: Pixaybay