Kolonialismus und Postkolonialismus

Man kann sicher darüber streiten, ob der Kolonialismus auch gute Seiten hatte. Aber man sollte in jedem Fall so ehrlich sein zuzugeben, dass der Kolonialismus in Afrika nicht viel mit Menschenliebe zu tun hatte. Es ging im dortigen Herrschaftskolonialismus im Wesentlichen darum, Gebiete zu kontrollieren, um sie wirtschaftlich nutzbar zu machen. Das geschah oft unter extrem brutalen Umständen. Dass der Kolonialismus dort keine Zukunft hatte, hat aus meiner Sicht daher eher was mit Nutzen und Kosten zu tun. Am Ende waren die sogenannten Mutterländer nicht mehr willens für ein paar Kolonisten und den geringen Profit viele militärische Ressourcen einzusetzen.

In Kanada mit dem Siedlungskolonialismus verhielt es sich zwar anders als in Belgisch-Kongo. Das soll nicht heißen, dass die Indianer nicht furchtbar gelitten hätten. Die Schwarzen im Kongo wurden allerdings in Größenordnungen massakriert, die den Gräuel des Zweiten Weltkriegs in nichts nachstehen. Schließlich muss noch erwähnt werden, dass der Westen nicht der Erfinder des Systems von Ausbeutung war. Vor ihm versklavten Muslime Millionen. Davor versklavten die Römer die Besiegten. Das war auch nicht gerade nett, nach heutigen Maßstäben. Heutige Maßstäbe – auch des Humanismus – gelten allerdings wohl auch, weil wir dafür die Natur ausbeuten. Das hat auch seine Schattenseiten, wie man sieht.

Eine ganz andere Frage ist allerdings, ob man nun alle Fehlentwicklungen in Afrika dem Kolonialismus ankreiden sollte. Das kann man tun, wenn man glaubt, dass historische Fakten ein Land zu einem bestimmten Weg verdammen. Dagegen spricht allerdings, dass manche Länder, die grausame Kolonialherren erlitten und furchtbare Kriege durchmachten, sich prächtig entwickeln. Zum Beispiel Südkorea, eine ehemalige Kolonie Japans. Es spricht auch einiges dafür, dass man die ehemaligen Kolonialherren nicht braucht, um zu erklären, was im Süden schief läuft. Von Idi Amin bis Robert Mugabe, von Mali bis Süd Afrika; Afrika kann sich auch ganz alleine kaputt machen.

Doch mit dieser Frage beschäftigt sich der Postkolonialismus nicht. Oder wenig. Er will vor allem die Frage klären, was am Ende der Kolonialära mit dem kolonialistischen Denken geschah. Er behauptet, das Denken wäre noch so wie früher, rassistisch, überheblich und ausbeuterisch, was den Westen betrifft. Wir bräuchten deshalb eine Art Gehirnreinigung. Diese Vorstellung ist in der Tat ideal, und zwar für die Ausbeuter und Verbrecher im Süden. Aber sie ist auch gar nicht mal so unbequem für uns. Denn statt Probleme anzusprechen, die schwierig oder sogar unlösbar sind, könnte man nun durch Bewusstseinsveränderung im Westen Afrikas Probleme in den Griff kriegen. Das hört sich nicht nur esoterisch an. Das ist es vermutlich auch. Und es ist natürlich kontraproduktiv.

So wie gewisse muslimische Kreise hierzulande eine Islamophobie geradezu herbeischreiben, um den Blick von den Irrtümern und Fehlern in vielen muslimischen Ländern oder auch von der muslimischen Community zu lenken, so sorgt die postkoloniale Philosophie dafür, dass man die eigentlichen Fragen zu wenig anspricht, die angesprochen gehören. Dazu gehört auch, dass Strukturen entscheidend dafür sind, ob ein Land prosperiert oder nicht. Die Vergangenheit ist dagegen eher unwichtig. Denn die Vergangenheit ist in einer Zeit der ständigen Transformation kaum noch ein Faktor.

Insofern ist der Postkolonialismus, der alle Verantwortung bei den ehemaligen Kolonialherren sieht und von ihnen eine Bewusstseinsveränderung verlangt – wer sagt, wann die ausreichend stattgefunden hat – schädlich für die Länder des Südens. Denn nur wer ehrlich nach eigener Verantwortung fragt und wer geeignete Strukturen schafft, um Prosperität herzustellen, gewinnt. Man sollte deshalb aufhören, diese Fakten zu verunklaren, und zwar durch Postkolonialismus.

Ansonsten entsteht dauerhaft dasselbe ungute Gefühl, dass man bei einem alternden Mann hat, der immer jammert, seine Eltern seien dafür verantwortlich, dass aus ihm nichts geworden ist. Er hat es vermutlich abgelehnt, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und benutzt nun die Eltern als Ausrede. Manche Verwandte bestärkten ihn sogar noch und fühlen sich gut dabei. Sozusagen moralisch höherwertig. Auch die sehr alten Eltern machen sich ständig Vorwürfe. Ändern tut es aber gar nichts. Der Mann bleibt ein Versager.

Christian Kümpel

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Hurra, wir sind beleidigt

Vor noch gar nicht langer Zeit galt Resilienz als höchste Tugend. Resilienz ist die sehr positive Eigenschaft trotz aller Gemeinheiten, die das Leben für einen bereit hält, klarzukommen. Man lässt sich eben nicht unterkriegen und hält was aus. Doch das war gestern. Heute gilt es, nicht nur empfindsam zu sein. Am besten man ist gleich schwer beleidigt. Warum?

Der bekannte französische Schriftsteller Henry de Montherlant fand darauf eine mögliche Antwort.  Er stellte fest: „Kränkungen haben ihr Gutes, sie setzen einen ins Recht.“ Das soll heißen, dass man, wenn man beleidigt wird, durchaus übel zurückkeilen kann, ohne verurteilt zu werden. Man hat sozusagen nach einer Beleidigung die Lizenz, den anderen anzugehen, um einen Ausgleich herzustellen. Dafür gibt es dann viel Verständnis und man darf auch schon mal unsachlich werden, denn es geht um Gefühle. Die sind heilig.

So muss in der Sache dann auch nicht mehr gestritten werden. Jüngstes Beispiel: Im Namen einer sozusagen beleidigten Gruppe wurde darauf verwiesen, dass Wissenschaftler nicht nur transfeindlich, sondern menschenfeindlich wären, weil diese ja behaupteten, im Fernsehen werde die Genderdiskussion falsch geführt. So geschehen in der eigentlich konservativen Zeitung „die Welt“ durch den Queer-Beauftragten Sven Lehmann. Dafür gab es dann auch noch Verständnis. Doch waren die Aussagen der Wissenschaftler eine Beleidigung? Und selbst wenn, rechtfertigen sie dieses Zurückkeilen? Und wer entscheidet darüber, wer beleidigt worden ist.

Man kann hier mit Carl Schmitt feststellen: Souverän ist, wer darüber entscheiden kann, ob eine Beleidigung stattgefunden hat. Und das kann zum Beispiel Sven Lehmann sozusagen im Auftrag der Bundesrepublik. Aber auch selbsterklärte Aktivisten dürfen nach ihren selbstgestrickten Kriterien entscheiden, wann ein Insult vorliegt.

Es hat also diskurspolitische Vorteile mit antrainierter Empörung – alles ist Konditionierung sagen Biologen – den anderen moralisch ins Eck zu stellen, weil man selbst oder sensible Gruppen schwer getroffen wären. Ist es da ein Wunder, dass man nun geradezu manisch nach Anlässen sucht, um sich kränken zu lassen? Oder um sich vor vermeintliche Opfer von Kränkungen zu stellen, was ja dann auch noch den Benifit hat, als Retter zu erscheinen?

Allerdings erinnert das Ganze doch fatal an die Skandale um die Mohammed-Karikatur. Da waren harmlose Bildchen für so manchen auch ein Anlass, sich mächtig aufzuspielen. Und schnell verschwanden diese dann auch aus der Öffentlichkeit. So geht es zu im Orient und jetzt auch im Okzident.

Da kann man durchaus feststellen, dass der Westen asiatischer geworden ist. Denn Ehre, Beleidigungen und Kränkungen, das sind Kategorien atavistischer Kulturen wie sie in Asien blühen, bei uns aber eigentlich eher keine große Rolle mehr spielten. Bis jetzt. Die Identity Policy hat aber diese Verhältnisse nun durch die Hintertür wieder eingeführt. Am Ende haben wir die gern zitierte Was-kuckst-du-Kultur auf allen Ebenen. Und natürlich auch viele „U-Bahnfahrer“, die angesichts der Bedrohung lieber keinen Blickkontakt mehr suchen aus Angst der taktisch eingesetzten Empörung anheimzufallen.

Christian Kümpel

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Der Liberalismus verzehrt sich selber

Arnold Gehlen, der berühmte deutsche Philosoph, hat darauf hingewiesen, dass der Mensch als Mängelwesen Institutionen braucht, die ihm das Überleben möglich machen. Ob Familie, Staat oder Gesellschaft, der Mensch benötigt Strukturen, die er nicht hinterfragt, damit er existieren kann. Warum ist das so? Das liegt nach Gehlen daran, dass der Mensch im Gegensatz zum Tier weltoffen ist. Er kennt kaum Instinkte, kann aber alles aufnehmen, alles glauben und alles denken. Allerdings auch jeden Unsinn. Dieser Nachteil der extremen Weltoffenheit muss ausgeglichen werden, indem man eine Welt schafft, die einen Rahmen vorgibt, in dem sich der Mensch entwickeln kann, wie bei einer Kletterpflanze, die eine Rankhilfe braucht, um nach oben zu wachsen. Gibt es diese Hilfe nicht, dann verkümmert der Mensch.

Der Liberalismus sieht das ganz anders. Er würde behaupten, dass der Mensch schon selbst am besten weiß, was er braucht. Institutionen, die ja auch einschränken und einen Menschen bedrücken, werden im Prinzip nur soweit akzeptiert, wie sie der Entfaltung des einzelnen nicht im Wege stehen. Als Grenze der Handlungsfreiheit wird nur die Handlungsfreiheit anderer gesehen. Kurz gesagt: Tu, was du willst, solange du andere nicht schädigst. Das ist die liberale Devise.

Dazu gehört, dass man nicht nur so schnell auf der Autobahn fahren kann, wie man möchte. Dazu gehört vor allem, dass man den Partner wechselt, wie man möchte, durch die Gegend fliegt, überall und nirgends zu Hause ist und natürlich jetzt auch sein Geschlecht ändert, wenn es beliebt.

Es gilt als Maxime: Lustgewinn ist gut. Unlustvermeidung auch. Das hört sich in der Tat sehr verführerisch an. Und zur Verführung sagt man selten nein. Der Preis des Liberalismus ist allerdings hoch, selbst wenn man die ökologischen Kosten dieser liberalen Gesellschaft nicht mitberücksichtigt. Kinder sind verwirrt, Erwachsene nicht minder, immer mehr Menschen greifen zu Drogen und Medikamenten, um sich zu stabilisieren. Familien lösen sich auf. Psychologen haben alle Hände voll zu tun. Kein Wunder. Denn der Mensch will die Freiheit, sie tut ihm aber nicht immer gut. Er braucht eben den Rahmen, die Institutionen, die seine Freiheit einschränken. Da diese aber in Auflösung sind, gibt es Ausfälle.  

Statt nun die Kosten des Liberalismus zu benennen, werden die Kosten jetzt sogar zum Teil der Freiheitserzählung. Kinder und Jugendliche, die unsicher sind, was ihre Sexualität betrifft, wird eingeredet, man könne das Geschlecht wechseln wie ein Hemd. Leute, die drogenabhängig sind, weil sie in dieser Gesellschaft nicht klarkommen, sollen noch besser an Drogen kommen, damit sie noch freier werden. Und Kinder sollen selbst entscheiden, was sie im Unterricht durchnehmen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Bald wird man sehen, wie unglücklich das viele macht.

Der Liberalismus ist sicher keine schlechte Sache für diejenigen, die inneren Halt haben. Für viele andere wird der Liberalismus langsam gefährlich. Denn Kinder und Jugendliche sind verwirrt. Und Drogensüchtigen wird nicht nur nicht geholfen, sie kriegen die Drogen frei Haus. Fettsüchtige werden zu Freiheitshelden, statt dass man ihr Problem benennt. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Was aber am Ende passieren könnte: Der Liberalismus wird grundsätzlich abgelehnt, weil zu viele Menschen durch ihn zu Schaden kommen.

Doch eins sollte man wissen, bevor man ihn ganz abschafft. Rigide hochmoralische Institutionen, die den Menschen ganz einnehmen, sind auch nicht ganz ohne Nebenwirkungen. Freiheit braucht zwar Grenzen. Aber ohne Freiheit, das wissen wir aus der Geschichte, kommt der Machtmissbrauch. Ganz konkret: In Putins Russland lebt man ohne Freiheit auch nicht gut. Außerdem ist das Land eine einzige Gefahr für andere.

Es sieht, wenn man das bedenkt, ganz so aus, als ob unsere moderne Existenz tragisch zwischen diesen Polen pendelt, nämlich zu viel Freiheit und zu viel Unfreiheit, ohne eine Balance zu finden. Das ist vielleicht, was man als Verlust der Mitte bezeichnen könnte. Der Liberalismus aber will niemals ein Gleichgewicht. Das macht ihn auch gefährlich.

Christian Kümpel

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Rinks und lechts

In der FAS vom letzten Sonntag wird noch einmal nach den Veränderungen in der Parteienlandschaft gefragt. Vor allem wird diskutiert, welche Parameter für die neue Lage verantwortlich sind. Herbert Kitschelt und Phillip Rehm beschränken sich dabei laut Boris Holzer auf zwei Faktoren: Bildung und Einkommen. Als Begründung geben sie an, dass andere Faktoren eng mit diesen korrelieren. Zum Beispiel hängen religiöse Überzeugen auch sehr stark von der sozio-ökonomischen Lage ab. Wenn man sich jedenfalls auf diese Kriterien einlässt, dann ergibt sich folgendes Bild:

Früher waren die Einkommensschwachen und Bildungsschwachen eher gewillt, linke Parteien zu wählen. Bildungsstarke mit hohem Einkommen wählten dagegen konservative Parteien. Dies natürlich alles grosso modo. Durch die Bildungsexpansion wuchs jedoch Gruppe der Bildungsgewinner, die jedoch nicht unbedingt Spitzengehälter erzielten, an. Mit ihnen rückte die Bildungselite nach links. Im Gegenzug fanden sich die Bildungsschwachen bald im rechten Lager wieder. Sie sind eher autoritär geprägt und wählen zum Beispiel Trump, weil Verteilungsfragen der Identitätspolitik gewichen sind. Anders gesagt: Die Demokraten werden die Partei der Bildungsgewinner, die Republikaner die Partei der Nichtakademiker. Oder, bundesrepublikanisch übersetzt, es werden die Grünen die Partei der Akademiker, die AfD wird dagegen die Partei der Nichtakademiker.

Das ist ein Dilemma für die klassische Arbeitergruppe. Ihnen ging es nur um Umverteilung. Die neue Linke will dagegen Gendergerechtigkeit. Auch das klassische bürgerliche Publikum findet sich nur in den ökonomischen Programmen der neuen Rechte wieder. Das Autoritär-Populistische ist ihnen aber eher unangenehm. Fazit: Die größten Fans des Linksliberalen sind eher mäßig verdienende Akademiker, während die Freunde der Rechten bei den besser verdienenden Nichtakademikern Punkten können. Eine Verkehrung der Verhältnisse, möchte man meinen.

Diejenigen, die sich nun Umverteilung, aber wenig Liberalisierung wünschen, fallen durch den Rost. Frau Wagenknecht und Konsorten mahnen daher immer wieder an, die Identitätspolitik fallen zu lassen, weil sie auf das Neobürgertum zugeschnitten ist. Das ists sozusagen der Klassenfeind. Allerdings wohl vergeblich. Denn die neue Linke verachtet die bildungsschwachen Freunde des Autoritären, die gerne starken Männer folgen. Sie erkennen in ihnen keine Verbündeten, sondern Feinde, die bekämpft werden müssen. Hätte sich das ein Karl Marx träumen lassen?

Wer nun meint, das Sein bestimme das Bewusstsein, der wird jedenfalls enttäuscht zur Kenntnis nehmen müssen, dass nicht so sehr die ökomische Lage als die Bildungsschicht heute darüber entscheidet, wo man politisch steht. Mit der bald anstehenden Krise kann sich das natürlich schnell wieder ändern. Denn Verteilungsfragen können dann wieder zu einem neuen Muster führen, zum Beispiel arme Akademiker und arme Nichtakademiker vereint gegen wenigen verbliebenden Reichen oder den Staat. Wie auch immer es kommen mag, am Ende heißt es jedenfalls immer die Einen gegen die Anderen. Wofür sie jeweils stehen ist dabei austauschbar.

Christian Kümpel

Werteopportunismus

Werte sind konstituierend für Kulturen. Solche können sexuelle Freiheit sein. Aber auch die Tradition hat seinen Wert. Meist werden die einzelnen Werte, zumindest dann, wenn die Kultur überleben möchte, nicht ganz so hoch gehängt. Man muss sie irgendwie miteinander abgleichen. Im Zweifelsfall muss auch mal geheuchelt werden, damit es nicht zum Knatsch kommt. Unangenehm wird es aber meist dann, wenn Werte absolut gesetzt werden. Dann gibt es Krach. Zumindest dann, wenn der Schwächere nicht nachgibt. Nun gab es wieder ein schönes Beispiel für diese These, als Disney es akzeptierte, dass sein Film im Orient zensiert worden ist. Es geht um den Streifen”Lightyear”.

Ein fast absoluter Wert in der westlichen Gesellschaft: Lesben und Schwule dürfen sich nicht nur küssen, sie müssen es auch in der Öffentlichkeit tun dürfen und das muss auch in Filmen gezeigt werden, und zwar ständig. Wie könnte man so einen Wert nennen? Sexuelle Toleranz ist da nämlich zu wenig gesagt.

In muslimischen Ländern hält man nichts davon. Dort gilt die Überllieferung als wichtiger Wert. Dazu gehört das traditionelle Verständnis von Sexualität. Nur Männer küssen Frauen. Basta. Lesbenküsse gehören nicht zum Kulturinventar. Deshalb lehnt man dort die Kussszene in dem Kinderfilm aus dem Hause Disney ab. Nun ist es bekanntlich so, dass der aufgeklärte Westen seine Werte für allgemeinverbindlich erklärt. Diese seien sozusagen weltumspannend. Deshalb ist man im Westen empört. Aber natürlich nicht so empört, wie wenn im Westen Mohammed-Karikaturen gezeigt werden. Dann tobt der Orient. Und hier im Westen kommt man ins Schwitzen. Dass nun die Schwulen und Lesben und Woken hierzulande ausrasten, so wie man das im Süden immer dann tut, wenn der Prophet in ein schlechtes Licht gerückt wird, ist nicht überliefert. Da kann man nur sagen: Sehr vernünftig. Denn man legt sich nicht mit Stärkeren an.

Die Erregung im Westen richtet sich eben nicht gegen einen mächtigen Feind der neuen westlichen Sexualmoral. So wie ein Beutejäger sich nicht an einem anderen stärkeren Beutejäger vergreift, verhält man sich auch hier streng opportunistisch. Man fängt nur an zu knurren, wenn es gegen die geschwächten alten konservativen Tiere im eigenen Revier geht. Die kuschen dann auch meist, wie man neulich in der Welt lesen dürfte. Mit den Muslimen läuft das nicht.

Der höchste Wert im Westen ist vermutlich doch der, nicht auf die Nase zu kriegen. Den Konservativen, die ja auch für Tradition sind, schulden wir hier Dankbarkeit. Denn wie man sieht, kriegt man seine Werte nur dann durchgedrücken, wenn man auch die nötigen Machtmittel hat. Ansonsten muss man sich eben fügen, um schwere Konflikte zu vermeiden. Merke: Am Ende ist es besser, keinen Streit zu riskieren, den man sowieso nicht gewinnen kann. Das gilt für die Linken wie für die Rechten.

Christian Kümpel

Storytelling

Der Philosoph Rudolf Burger weist darauf hin, dass wir unserem christlich-jüdischen Erbe verpflichtet sind. Das besteht insbesondere darin, festzustellen, dass etwas im Argen liegt, und zwar grundsätzlich. Die Welt ist für Christen und Juden schlecht. Da half nur die Hoffnung auf bessere Zeiten.

Nun sind wir zwar jetzt als Nicht-Christen oft ohne Glauben auf ein Leben nach dem Tod, wo alle Ungerechtigkeit in Gerechtigkeit umschlägt. Wir glauben allerdings immer noch, dass etwas im Argen läge. Allerdings wenn etwas mit der Welt nicht stimmt, dann muss man, wenn das Jenseits nicht mehr zur Verfügung steht, um Verbesserung herzustellen, die Hoffnung auf etwas anderes setzen als Gott, damit eine Heilsgeschichte erzählt werden kann.

Das Heil wurde deshalb konsequenterweise innerweltlich. Die Welt-Geschichte wurde entsprechend zu einer Heilsgeschichte umgedeutet. Die Story ging darauf eine Weile so: Die Welt ist nicht perfekt. Aber sie entwickelt sich nach den Gesetzen der Geschichte oder der Dialektik in die richtige Richtung. Durch Aufklärung und Wissenschaft erreichen wir gemeinsam unser Ziel.

Aber auch diese Geschichte mag keiner mehr so recht glauben. Irgendwie ist sie, wie man so schön sagt, auserzählt. Weil wir aber Geschichten brauchen, kursieren nun andere Narrative, vor allem welche, die nicht mehr von Fortschritt sprechen. En vogue sind jetzt Opfergeschichten. Und in der Tat gibt es seit den 60iger immer neue Gruppen, die nun ihre Narrative an den Mann bringen. Die Geschichte ist dabei meist auch schnell erzählt: Es war alles Unterdrückung und Qual. Und daran hat sich nichts geändert. Erlösung kommt dabei nicht vor.

Früher hätte man sich das vermutlich verkniffen, so zu erzählen. Happy Ending, das war einmal ein Muss. Nun ist die Geschichte des Fortschritt der Menschheit einer öden Leidensgeschichte gewichen.

Erlösung ist in diesen Geschichten, wie gesagt, nicht zu erwarten. Denn die Opfergeschichten sind von der Erzählstruktur wie moderne Einakter. Das Ende ähnelt dem Anfang. Wenn man so will, dann gilt der Satz: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leiden sie noch heute. Allerdings steht fest: Wenn der Mensch unbedingt Geschichten braucht, dann ist die Opfergeschichte sicher die unproduktivste. Denn so wie bei der Geschichte von Tantalus, der im Wasser steht, durstet man nach mehr, ohne jemals den Durst stillen zu können. Denn wer einmal sein Opfernarrativ gesungen hat, der wird von dieser Geschichte nicht mehr lassen. Sie ist einfach zu verführererisch.

Bei den Christen sind es die Unterdrückten, die in den Himmel kommen. Heute will man als postmoderner Mensch aber nur noch unterdrückt sein, ohne Aussicht auf Erlösung. So erzählen eigentlich nur Masochisten. Im Masochismus liegt ja auch, wie wir wissen, ein ganz besonderer Reiz. Ist er am Ende das Geheimnis der Postmoderne?

Christian Kümpel

Bild: Pixabay

Opfergeschichte

Der Philosoph Rudolf Burger weist darauf hin, dass wir unserem christlich-jüdischen Erbe verpflichtet sind. Das bestehe insbesondere darin, festzustellen, dass etwas schlimm im Argen liegt. Da helfe nur die Hoffnung. Nun sind wir zwar jetzt oft ohne Glauben an Gott. Wir glauben allerdings immer noch, dass etwas grundsätzlich mit der Welt nicht stimme. Allerdings: Wenn etwas mit der Welt nicht stimmt, dann muss man, wenn das Jenseits nicht mehr zur Verfügung steht, die Hoffnung auf etwas anderes setzen als Gott, damit eine Heilsgeschichte erzählt weiter erzählt werden kann. Das Heil wurde deshalb bald in der Geschichte selbst verortet: Die nicht perfekte Welt entwickelte sich nun nach den Gesetzen der Geschichte oder der Dialektik in die richtige Richtung. Durch Aufklärung und Wissenschaft sei unser gemeinsames Ziel zu erreichen. Nun ist es mittlerweile so, dass auch diese Geschichte keiner mehr so recht glauben mag. Irgendwie ist sie, wie man so schön sagt, auserzählt. Weil wir aber Geschichten brauchen, kursieren nun andere Narrative, die nicht mehr von Fortschritt sprechen. En vogue sind jetzt Opfergeschichten. Und in der Tat gibt es seit den 60igern immer neue Erzähler, die nun ihre Opfernarrative an den Mann und die Frau bringen. Die Geschichte ist dabei meist schnell erzählt: Unterdrückung allenthalben und Qual, bis heute. Es ist ein Jammer. Und so ist es wenig überraschend, dass auch einige weiße Ostdeutsche anfangen, das Opferlied zu singen, was dann die AfD gerne aufgreift. Oder umgekehrt. Sie sind erzähltechnisch in derselben Geschichte wie Frauen oder Schwule, ohne allerdings dieselbe Bewertung für ihr “Leid” zu bekommen. Denn es gibt natürlich auch eine Opfer-Hierarchie. Daher ist die Story von der üblen Lage des Ossis aus Bautzen eher nicht auf der Bestsellerliste. Erlösung ist bei diesen Geschichten übrigens nicht zu erwarten. Die Opfergeschichten sind von der Erzählstruktur nämlich wie moderne Einakter. Das Ende ähnelt dem Anfang. Wenn man so will, dann gilt d er Märchensatz auch hier: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leiden sie noch heute. Und leiden und leiden und leiden. Wenn der Mensch mythenpflichtig ist, dann ist der Opfermythos sicher nicht unbedingt die produktivste Geschichte. Denn so wie Tantalus durstet man offensichtlich ständig nach mehr, ohne jemals den Durst stillen zu können. Wer einmal Opfer ist, der wird von diesem Status wohl dennoch nicht mehr lassen. Denn unsere Gesellschaft belohnt diejenigen, die leiden, im Gegensatz zur Antike gerne mit Aufmerksamkeit und Sympathie. Wir sind geradezu verliebt in die Opfer. Die Frage, warum dies so ist, ist aus meiner Sicht, der Schlüssel zum Verständnis dieser postmodernen Gesellschaft. Christian Kümpel Bild: Pixabay

Verbitterungssyndrom

Menschen reagieren unterschiedlich auf einschneidende Veränderungen, die als negativ empfunden werden. Die einen ignorieren sie, andere passen sich an. Manche verbittern. Verbitterung ist eine Mischung aus Frustration und Zorn. Dieses Gefühl kann zum Beispiel eintreten, wenn man als fleißiger Mitarbeiter nicht gewürdigt wird. Oder wenn man von seinem Lebensgefährten immer nur hört, wie unfähig man sei.

Ich vermute aber, dass man besonders verbittert, wenn man zusehen muss, wie die eigene Welt verschwindet, ohne dass man ohne etwas tun kann. Und das Gefühl setzt auch ein, wenn man ständig zu hören kriegt, das eigene Land sei homophob, rassistisch und frauenfeindlich. Also irgendwie schlimmer als Afghanistan, Nordkorea und das Dritte Reich zusammen. Man kriegt dann geradezu einen Ekel vor dem eigenen Land, wenn man so etwas ständig hört. Wie einen ja auch Menschen anwidern, die sich ständig selber schlecht machen.

Doch bleiben wir bei der Verbitterung. Dazu gehört, wie gesagt, unbedingt das permanente Gefühl von Ohnmacht. Die eigene Machtlosigkeit wird einem ständig vor Augen geführt und noch greifbarer, wenn man erfährt, dass die wichtigen Entscheidungen nicht im Parlament, sondern irgendwo in der EU, bei der EZB oder bei NGOs, also bei nebulösen Mächten liegt, von denen man nicht das Gefühl hat, man habe auch nur den geringsten Einfluss aus sie. „Mich hat niemand gefragt, als 2015 Millionen ins Land gelassen wurden.“ Das ist so ein Satz. Und man sollte sich da auch keine Illusionen machen: Auch in Zukunft wird man kaum gefragt werden, wenn es um wichtige Dinge geht. Und selbst wenn, interessiert die Antwort nicht.

Was macht nun der ob all dieser Phänomene verbitterte? Er bestraft seine Umwelt, indem er seine Verbitterung oder Wut zur Schau stellt. Er nervt irgendwann selber, weil er selbst genervt wird. Seine Gedanken kreisen nur noch um die eigene Hilflosigkeit und die Frustration. Und er macht das zum Dauerthema. Schließlich sucht er schon fast krampfhaft nach Anlässen, seiner Verbitterung weiteres Futter zu geben. Es ist, als ob die Verbitterung immer neue Nahrung bräuchte. Unglück wird so zur Dauerschleife.

Doch was kann man wirklich tun, wenn man nichts tun kann? Die Antwort könnte lauten: Wer wenig Gepäck mit sich herumschleppt, der verbittert nicht so schnell. Wem das Land, die Gesellschaft und auch die EU egal sind, der muss sich nicht aufregen, wenn Mächte jenseits seiner Einwirkungsmöglichkeiten wüten. Sie sind wie die Sonne und der Regen, die man ja auch nicht stoppen kann. Was macht es dann schon, wenn nun Jugendlichen ihre vermeintliche Transsexualität entdecken und manche behaupten, nur eine gendergerechte Sprache könne die Welt retten? Was geht mich der Irrsinn der Welt an, könnte man fragen. Die Welt ist schon öfter mit bizarren Figuren aufgetreten. Das gehört einfach dazu. Wichtig ist nur, dass man sich das nicht zu Herzen nimmt. Man wird so Beobachter und gewinnt Abstand. Von der eigenen Verbitterung haben nur diejenigen etwas, die uns verbittern lassen wollen. Und das sind sicher nicht wenige. Wem es gelingt, hier die Balance wiederzufinden, der hat den Narren schon ein Schnippchen geschlagen. Das ist in diesen Zeiten keine kleine Leistung.

Christian Kümpel

Misstrauen ist angesagt

Tja, jetzt hat es auch die Linke erwischt. Nach allem was bekannt geworden ist, hat ein Mitarbeiter der Landtagsfraktion der Linken in Hessen ein Verhältnis mit einer Minderjährigen gehabt. Der Mitarbeiter sei der Partner von der Landesvorsitzenden Janine Wissler gewesen, liest man. Nun steht im Raum, dass Wissner ihren Partner geschützt habe. So viel zum Thema Solidarität unter Linken.

Und natürlich fiel dann nach dem Bericht weiteren Betroffenen ein, dass auch sie Opfer sind. Die Vorsitzende des linken Jugendverbands Solid, Sarah Dubiel, meinte nach Angabe der TAZ, sie kenne keine Genossin, die noch nie sexistisch angegangen worden sei. Da tut sich ein weiterer Sumpf auf. Vermutlich allerdings nur in der Phantasie der Me-Too-Fans.

Während man in den promiskuitiven Siebzigern vermutlich sexuelle Belästigung irgendwie anders eingeordnet hat, hat sich mittlerweile eine gewisse Übersensibilität breit gemacht. Die taffe Frau, die sich zur Wehr setzen kann, ist dem Bild des Opfers mit Opfer-Abo gewichen. Bei Harvey Weinstein, dem Produzenten, seien massenhaft Frauen Opfer seines Triebes geworden, hört man. Vielen fiel das aber erst auf, nachdem sie auch mithilfe von Weinstein Filmkarriere gemacht hatten. So viel zum Thema Solidarität unter Frauen und Timing.

Dank des medial-technischen Komplexes erfährt heute schnell die ganze Welt, dass man einer Frau die Hand auf die Knie gelegt hat, ohne dass sie darum bat. Zumindest dann, wenn die Frau ein Twitter-Account unterhält. Weil das so ist, muss man in der Tat schon ziemlich unter Kontrollverlust leiden, wenn man da noch was probiert. Und da ist das ja auch das Risiko, dass man beschuldigt wird, ohne wirklich was wirklich Schlimmes getan zu haben. Manchmal muss man auch gar nichts tun, um fertiggemacht zu werden.

Hier sei noch mal erinnert an die unbegründeten Vergewaltigungsvorwürfe gegen Männer, die in der Vergangenheit zu hohen Haftstrafen führen. Horst Arnold ist da nur ein Beispiel. Der Mann wurde von einer lügenhaften Frau ruiniert, indem sie ihn der Vergewaltigung bezichtigte. Der Richter glaubte der Frau, obwohl ihre Geschichte absurd war. So kann es gehen.

Sexuellen Missbrauch wird es immer geben. Auch den, durch Reize zu manipulieren. Der Versuchung, sexuellen Missbrauch vorzutäuschen, um sich zu rächen oder Vorteile daraus zu ziehen, wird man weiterhin erliegen. Allerdings hat sich die Kommunikation verändert. In der Folge werden Männer misstrauischer sein müssen, auch sich selbst gegenüber. Aber vor allem gegenüber den Frauen. Man kann allen nur raten: Lasst immer eine Kamera laufen und verabredet euch nicht zu zweit. Damit es später nicht heißt: Meeee Toooo!

Christian Kümpel

Bild: Pixabay

Wir erleben eine tektonische Plattenverschiebung

Wir erleben eine tektonische Plattenverschiebung der ideologischen Erdkruste. Die Disruptionen gehen mitten durch Social-Media-Blasen und durch gefühlt für die Ewigkeit gewachsene Weltanschauungs-Tribes und -Völker.

Ein längst untergegangen geglaubtes Atlantis steigt mit Kraft wieder aus dem Mahlstrom der Geschichte hervor.

Sein Name lautet: Der Freie Westen.

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