Kollateralschaden

Wieder einmal wurde in der Welt und in der FAZ thematisiert, dass es in Berlin in wachsendem Maße religiöse Konflikte gibt. Der Verein für Demokratie und Vielfalt hat jüngst eine entsprechende Umfrage dazu durchgeführt. Demnach sorgen strenggläubige Muslime dafür, dass in bestimmten Bezirken der Ramadan beachtet werden muss, Kopftuch getragen und weiblichen Lehrkräften nicht der gebotene Respekt erwiesen wird. Thomas Thiel schreibt in dem entsprechenden Artikel auch, dass Islamisten durch entsprechende Medienkanäle dafür sorgten, dass Schüler mit muslimischem Hintergrund in einer Art KZ in Deutschland leben müssten, was teilweise wohl geglaubt wird. 

Der Autor beklagt in seinem Artikel, dass sowohl Linke als auch Grüne entweder das Thema beschweigen oder als islamfeindlich einordnen. In der Tat hört sich das widersprüchlich an. Immerhin ist die Linke die Partei der Religionskritik. Wie kann das also sein, dass man sich auf die Seite der Islamisten schlägt? Die Erklärung liegt in der Identitätspolitik. Sie teilt die Menschheit in Opfer und Täter ein. Täter sind alte weiße Männer. Homosexuelle oder Schwarze sind Opfer. Und Muslime sind für Linke und Linksliberale ebenfalls Verfolgte.

Da ist man sich also mit den Fundamentalisten einig, die ja auch eine Diskriminierung der Muslime in Deutschland behaupten. Weil die Linken und Linksliberalen durch die Identitätspolitik in gewisser Weise umprogrammiert worden sind, können sie gar nicht erkennen, dass Fundamentalisten ihre Gegner sind, die die Werte der Aufklärung mit Füßen treten, Werte die die Linken und Linksliberalen angeblich vertreten. Schon gar nicht können sie deshalb den muslimischen Kindern helfen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, dass frei ist von religiöser Unterdrückung. Im Gegenteil werden sie im Zweifelsfall Fundamentalisten und ihre Politik sogar verteidigen. Für moderate Muslime eine schlechte Nachricht. Denn von denjenigen, die sich für fortschrittlich halten, ist keine Hilfe zu erwarten. Dies sind eben die Folgen der Identitätspolitik, die vermeintlich Gutes will, leider auf Kosten der sogenannten Opfer. 

Christian Kümpel

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Wirklichkeiten erster und zweiter Ordnung

Paul Watzlawick meinte, dass es zwei Wirklichkeiten gebe, in meinen Worten eine Wirklichkeit erster Ordnung und eine Wirklichkeit zweiter Ordung. Die wirkliche Wirklichkeit erster Ordnung gehorcht naturwissenschaftlichen Gesetzen. Ein Beispiel aus der Biologie: Säugetiere verfügen über Gameten (Keimzellen). Je nachdem, ob es eine weibliche oder männliche Gamete ist, die produziert wird, handelt es sich um ein Weibchen oder ein Männchen, das es produziert. Natürlich könnte es sein, dass man irgendwann eine dritte Gametensorte findet. Dann hätte man in der Tat das dritte Geschlecht gefunden. Bis jetzt sucht man jedoch vergebens. Weil nun Menschen Säugetiere sind, gilt das Prinzip auch für uns bis auf Weiteres.

Von dieser wirklichen Wirklichkeit abgeschieden ist die gemachte Wirklichkeit zweiter Ordnung. So wird in dieser gemachten Wirklichkeit behauptet, es gäbe viele Geschlechter. Welchem Geschlecht man angehört, das hängt weniger von naturwissenschaftlichen, mehr von der gemachten Wirklichkeit ab. Das ist ein weites Feld. Auf dem Feld findet man auch den Pansexuellen. Pansexuelle werden laut Wikipedia von allem erregt, sei es weiblich, männlich oder etwas anderes. Das mag so sein. Allerdings wäre ein Pansexuelle immer noch entweder ein Mann oder eine Frau. Dass sich Pansexuelle oder Transsexuelle allerdings nicht als Männer oder Frauen sehen, ist ihre gemachte Wirklichkeit. Dass sie diese so konstruieren, wie sie sie konstruieren, dafür gibt es Gründe. Allerdings keine naturwissenschaftlichen.

Allerdings, dass Menschen die wirkliche Wirklichkeit leugnen, um in einer gemachten Wirklichkeit zu leben, ist ein höchst menschliches Verhalten. Es gibt dafür verschiedene Worte: Wahn, wenn man es nicht besser weiß, Lüge, wenn man ahnt, dass es nicht stimmt. Oft ist es aber einfach der gesellschaftliche Konsens. Der wird zur Wirklichkeit zweiter Ordnung, wenn genug Leute in ihm leben, ohne ihn in Frage zu stellen. So wäre ein Pansexueller vor 100 Jahren wohl noch als krank eingestuft worden. Heute sind viele tatsächlich überzeugt, dass Pansexuelle einem anderen dritten, vierten oder fünften Geschlecht angehören.

Gesellschaften und einzelne Mitglieder dieser konstruieren schon immer Wirklichkeiten zweiter Ordnung, die manchmal jede Verbindung zu der Wirklichkeit erster Ordnung verloren haben. Und wie jeder Wahn oder jede Wirklichkeit zweiter Ordnung, schaffen sie Mechanismen, um sich vor der Wirklichkeit erster Ordnung zu schützen, zum Beispiel indem man moralisiert. Wer das nicht glaubt, der soll einmal in einer Universität vor Studenten der FU erklären, dass es nur zwei Geschlechter gebe. Er wird schnell erkennen, dass der Wahn auch kluge Menschen befallen kann und aggressiv macht im Sinne von moralischer Empörung, wenn der Wahn als solcher benannt wird. Und er wird erkennen, was Ernst Jünger einmal angesichts eines fanatisierten Nazis meinte: Verrückten zu widersprechen ist sinnlos und bringt einen nur unnötig in Gefahr. Manchmal muss man dann eben darauf vertrauen, dass der Wahn niemals ewig dauern kann, weil er irgendwann von einem anderen Wahn abgelöst werden wird. Das passiert spätestens dann, wenn der die Kosten des Wahns oder der Wirklichkeit zweiter Ordnung zu groß werden.

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Wir wracken alles ab

Wenn die Familie als Institution dich stört, dann solltest Du den Familienbegriff solange aufweichen, bis nichts mehr übrigbleibt, zum Beispiel mit einer Verantwortungsgemeinschaft als Alternative. Falls dich die Gesellschaft als Ganzes bedrückt, dann solltest Du diese solange moralisch in Frage stellen, bis jeder glaubt: Diese Gesellschaft ist ungerecht, rassistisch und sexistisch. Damit fängt man am besten im Kindergarten an. Und solltest du der Meinung sein, dass die Menschen in einem Land übel sind, dann erkläre sie zum Problem. Vielleicht kann man sie durch Einwanderer erstetzen. Dabei geht es natürlich nicht darum, was tatsächlich ist. Es geht darum, das Alte aufzulösen, damit man es abwracken, um für etwas Neues, Besseres Platz zu machen.

Tatsächlich gehört es seit allen Zeiten das Delegitimieren zur Technik derjenigen, die das Alte verabschieden und das Neue herbeiführen wollten. So haben ja die bürgerlichen Kräfte durchaus die Adligen Vorstellungen subversiv unterwandert, indem sie in Literatur und Theater die adlige Welt problematisierten. Erinnert sei auch an die Delegitimierungsstrategien der Nazis in der Weimarer Republik. Und was ist mit den Kommunisten und ihren Einflüsterern?

Allerdings müssen die Menschen auch irgendwie dazu gebracht werden, zu glauben, ihre alte Welt sei von grundsätzlichem Übel. und das, was kommt, wäre viel besser. Normalerweise sollte man da skeptisch sein. Aber die einen tun am Ende mit, weil sie tatsächlich denken, sie lebten in einer unerträglichen Welt. Die anderen helfen beim Abwracken, weil sie Mitläufer sind. Sie spüren zum Beispiel, dass es weniger soziale Kosten verursacht, zu gendern, auch wenn sie nicht unbedingt Fans sind. Damit legitimieren sie wiederum diese vollkommen absurde Form sich auszudrücken und delegitimieren normales Deutsch. Die meisten kümmern sich nicht drum, bis es zu spät ist, bis sie gendern müssen und die Ehe aufgehört hat, zu existieren. Immerhin hat nicht jeder Zeit und Lust, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Günstig für die Abwracker.

Vergessen wir nicht, dass der Vater der Identitätspolitik, Michel Foucault, das Wort subversiv sozusagen subversiv verwandelt hat. Es bekam nun den positiven Klang des Revolutionären. Und so untergräbt man auch mit seinem Segen munter alles, was man so vorfindet. Wohin uns das alles führen wird? Jedenfalls weit weg von dem, was war. Und ich habe keinen Zweifel, dass irgendwann auch das, was nun entsteht, in der Kritik stehen wird. Denn das ist ja der Kern unserer modernen und postmodernen Gesellschaften: Wir delegitimieren das Alte, weil das Neue so viel besser zu sein verspricht. Allerdings hat es seine Versprechungen bis jetzt nicht immer gehalten. Im Gegenteil. Das vergessen wir bloß leider immer wieder. Warum nur?

Christian Kümpel

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Und wenn wir alle Opfer wären?

Die Gesellschaft kann, wenn man nur will, als Ansammlung von Opfergruppen aufgefasst werden. Schwarze, Frauen, Behinderte… die Gruppen sind ohne Zahl. Doch sind wirklich alle Opfer? Wir kennen den Einwand. So wären reiche, schwarze Frauen eher keine Opfer. Aber vielleicht ist das falsch gedacht. Warum sollen nicht auch erfolgreiche Menschen Opfer sein? Immerhin hat sich vielleicht schon jemand hinter ihrem Rücken über die Dame lustig gemacht, über ihre Hautfarbe und ihren schlechten Geschmack in Kleidungsfragen. Die Frage wäre also geklärt. Opfer kann in der Tat jeder sein.

Wenn aber jedermann Opfer sein kann, dann allerdings auch der berüchtigte alte, weiße Mann. Und er ist schon deshalb Opfer, weil er ja ständig als Täter stigmatisiert wird. So wie in alten US Kriegsfilmen immer der Deutsche der Böse war, so ist eben heute immer der alte, weiße Mann der Dauer-Übeltäter. Und dass die Darstellung der Deutschen in Kriegsfilmen aus den 60iger Jahren diskriminierend war, ist wohl evident. Schlimm, wie dumm sich 1000 Wehrmachtssoldaten anstellten, wenn zwei GIs erst mal in Fahrt kamen. Da hatten sie keine Chance, selbst wenn sie über Panzer verfügten und die US-amerikanische Soldaten nur über ein Kartoffelmesser, bestenfalls. Den deutschen Soldaten so darzustellen, das war natürlich lächerlich. Ich fand´s eigentlich trotzdem nicht schlimm. Aber das waren ja auch andere Zeiten. Da war man nicht so empfindlich. Und heute?

Heute müssen wir neu denken, und zwar im Lichte der Identitätspolitik! Und das heißt konkret: Wenn sich der alte, weiße Mann als Opfer fühlt, dann ist eins. Und zwar ein so großes wie die anderen auch. Oder gibt es etwas irgendwelche Opferherarchien? Insofern können wir uns einreihen, bei den andern Opfer-Gruppen. Und dürfen dabei auch ein wenig stolz sein. Denn es ist etwas besonders ein Opfer zu sein.

Christian Kümpel

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Ich bin Opfer, also bin ich

Was haben einige Farbige und Donald Trump gemeinsam? Sie sind Opfer. Ständig jammern sie herum, wie schlecht sie behandelt werden. Und sie sind nicht die einzigen. Da gibt es noch die Transsexuellen, die Homosexuellen, die Harz-4-Empfänger und die AfD-Anhänger. Und was ist mit den Geimpften? Sind sie nicht auch Opfer? Irgendwie sind wir also alle viktimisiert. Und was folgt daraus? Sicher zweierlei. Wenn alle Opfer sind, dann muss man sich schon ein bisschen mehr anstrengen, wenn man als Opfer noch wahrgenommen werden will. Da helfen extreme Ansichten und Maßnahmen. Deshalb wohl die Dauerhysterie und die Identitätspolitik von links und rechts. Und dann muss man natürlich den anderen den Opferstatus absprechen. Das bekommen nun auch die Feministen zu spüren. Das es jedenfalls eine klare Opfer-Wertehierarchie gibt, dachte wohl auch Tschechow, der meinte: Vergiss nicht, dass es besser ist, Opfer zu sein als Henker. So kann man aber eigentlich nur reden, wenn man nicht wirklich geköpft wird.

Man könnte nun darüber spekulieren, warum es so attraktiv geworden ist, Opfer zu sein. Ich persönlich vermute, das fing mit Jesus an. Großes Opfer, große Belohnung. So sitzt er nun zur rechten Gottes. Aber auch in nicht-christlichen Kulturkreisen geriert man sich gerne als Victim. Die Gründe dafür sind vielfältig: Ein Opfer zu sein, das schafft Identität im Sinne von Einmaligkeit. Ich leide also bin ich. Dann bekommt man auch noch Aufmerksamkeit. Das ist die eigentliche Währung in einer Gesellschaft der Aufmerksamkeitsökonomie. Schließlich erhält man auf subtile Art und Weise Macht über andere, wirkt grundsätzlich unschuldig und gelangt auch zu moralischer Überlegenheit, die einem der Opferstatus zukommen lässt. Man wird Opfer und Richter in einem. Unsere postheroische Gesellschaft scheint das Opfersein so geradezu zu befördern. Vielleicht auch, weil man doch vom Tätervolk herkommt, das überwunden werden muss. Aber vielleicht ist es einfach auch nur eine zwangsläufige Entwicklung der Spätkultur. Vom kulturlosen Rüpel zum rüpelhaften Sensibelchen.

Erstaunlich wie anders da noch vor zwei, drei Generationen unsere Vorfahren waren. Ich denke da nur an Arnold Gehlen oder Ernst Jünger. Das waren gepanzerte Persönlichkeiten, die bis ins Mark das Kühle und Distanzierte pflegten. Sie personifizierten die Verhaltenslehre der Kälte. Man hätte sich verbeten, Opfer zu sein. Ob extreme Härte gegen sich selbst immer gut ist? Vermutlich nicht. Doch wie das immer so ist: Man überwindet das eine nicht ohne das Kosten anfallen. Man hat sicher das Männliche, Harte und Unbarmherzige hinter sich gelassen. Doch vor uns steht nun der Jammerlappen als Schwundstufe der Kultur, der zwischen Wut und Selbstmitleid hin und her schwingt und sich als Daueropfer geriert, der seinen Safe Space braucht. Die Identitätspolitik ist dabei nur die passende Ideologie für einen neuen Typus Mensch: der Pseudologe. Gehört ihm die Zukunft? Mit Sicherheit nicht. Die Sehnsucht nach dem Männlichen wird vermutlich wieder stärker. Und dann wird der Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen. Wann es soweit sein wird, vermag ich nicht zu sagen. Aber irgendwann wird man der vielen Opfer überdrüssig. Und dann könnte es bitter werden.

Christian Kümpel

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Wer bezahlt, der bestimmt?

Rainer Hank, liberaler Autor der FAS, weist in seiner Kolumne Hanks Welt vom Sonntag darauf hin, dass die Studenten, die Professorin Kathleen Stock weggemobbt haben, weil diese darauf bestand, dass es nur zwei Geschlechter gibt, auch über ihre Marktmacht Einfluss auf die Unis nehmen. Bildung in Großbritannien ist teuer. Wenn man 10.000 Pfund pro Jahr bezahlt, dann möchte man, so die Ansicht einige Studenten, damit auch das Recht erkaufen, von unliebsamen Ideen verschont zu werden. Welche das sind, bestimmt die Identitätspolitik. Solche wäre dann auch die biologische Tatsache, dass es nur zwei Geschlechter gibt.

Ich selbst bin durchaus ein Verfechter der freien Marktwirtschaft. Ich bin aber auch ein Fan von Luhmann. In der Marktwirtschaft gilt: kaufen und verkaufen. In der Wissenschaft gilt: wahr oder nicht wahr. Die beiden Systeme sollte man schön trennen. Anders gesagt: Wenn man sich devote Meinungen kaufen will, dann ist die Uni der falsche Ort. Der richtige Ort dafür sind PR-Agenturen. Das Biotop Uni wird dagegen hoffnungslos kontaminiert, wenn dort andere Erwägungen als wahr oder falsch eine prominente Rolle spielen. Eine gewisse Verschmutzung lässt sich sicher nie vermeiden. Allerdings kommt eben irgendwann der Punkt, da kippt der Teich um. Dann schwimmen nur noch tote Fische an der Oberfläche. Die Unis sind jedenfalls auf dem besten Wege dahin, abzusterben, wenn sie sich als Dienstleister einer Generation versteht, die dem Identitätswahn verfallen ist und ihre Marktmacht entsprechend ausspielt.

Christian Kümpel

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Was ist der nächste Hype?

Jede Gesellschaft braucht eine Erzählung. Am besten aber gleich ein paar. Ganz so, wie ja auch jeder Mensch eine Kleidung trägt, die zu ihm und den Umständen passt. Wenn man zum Beispiel in den Kuhstall geht, dann sind Gummistiefel und dreckige Jeans angemessen. Ein Smoking passte eher nicht ins Bild. Unsere Gesellschaft – wäre sie denn ein Mensch – hat einige Kleider anprobiert. Die hängen da immer noch. Da war die Fortschrittserzählung der ewigen Demokratisierung und Emanzipation. Das war der letzte Chic in den 70igern. Dann ging es auch um das sogenannte Lernen aus der Vergangenheit, um Hitler und das Dritte Reich produktiv machen. Das scheint schon fast eine zeitlose Mode in Deutschland zu sein. Ebenfalls beliebt: Befriedung der Gesellschaft durch Konsum. Das Stück sieht heute eher altbacken aus. Die neuste Mode lautet jedoch: Höherwertigkeit durch Verzicht. Das ist sozusagen teurer italienischer Stoff. Und dann ist da natürlich die Identitätspolitik. Steht der postmodernen Gesellschaft ausgezeichnet. Die Gesellschaft ist dabei aus Opfern und Tätern gestrickt, wobei es kurioserweise erstrebenswert wäre, sich immer mit den Opfern zu identifizieren. Darüber hätte ein Nietzsche noch gelacht. Ihm war immer schon klar, dass die Opfer immer auch Herren sein wollen und einfache Wahrheiten abgründig sind. Allerdings geht die Zeit auch über diese Erscheinung bald hinweg. Dann sind wir in der postpostmodernen Phase. Denn Mode kennt kein Anfang und kein Ende, sondern nur ein ewiges Drehen um sich selbst.

Wenn nun aber, wie bei der Mode, Erzählungen wechseln, dann wird es sicher auch bald ein neues Narrativ geben, um die postpostmoderne Zeit einzuläuten. Und man sieht tatsächlich: Es sieht es so aus, als ob viele dieses Opfergedöns langsam nicht mehr hören können oder wollen. Seien wir ehrlich: Es ist auch anstrengend, immer alles mit der Brille der Identitätspolitik zu sehen. Immerhin erkennt man durch sie nichts, was nicht schon in der Brille selbst begründet wäre. So wie eben dem Kommunisten alles Klassenkampf ist, ist dem Identitätskämpfer alles Identitätskrampf. Öde! Und das Männer, die sich Frauenkleider anziehen und sich damit überall zeigen, nicht mehr belächelt, sondern gefürchtet werden, hat auch keine Zukunft. Das hört auf, sobald der akademische Mittelbau sich sichere Posten verschafft hat.

Ich weiß natürlich nicht, was der nächste Crazy Shit sein wird. Ich vermute aber, die nächste Phase wird geprägt sein, von einer Art Erwachen. Moral bekommt dann wieder den richtigen Platz im Kleiderschrank zugewiesen. Der ist nicht prominent, wie das jetzt der Fall ist. Denn auch diese Mode des ständigen Zeigens der eigenen moralischen Höherwertigkeit, ist irgendwann out. Bald findet man ihn nur noch in Second-Hand-Läden. Dort wird verramscht, was gestern noch als up-to-date galt. Mein persönlicher Favorit für die nächste Saison ist in der Tat: Sarkasmus. Sarkasmus und kühle Töne kleiden auch sehr gut. Wenn man es auch mit anderen Farben statt dem ewigen schwarz-weiß kombiniert, dann könnte das sogar dem breiten Publikum gefallen.

Christian Kümpel


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„Wie soll ich beweisen, dass ich kein Kamel bin?“

In der Sowjetunion fanden bekanntermaßen die Moskauer Prozesse statt. Das Besondere an ihnen war, dass deren Ergebnisse von vornherein feststanden. Die Angeklagten versuchten es teils mit Erklärungen, um sich herauszuwinden. Aber wenn man aber so anfängt, dann hat man schon verloren. Allerdings hätte man auch in jedem anderen Fall keine Chance gehabt.

Der sogenannten westlichen Welt wird zurzeit auch der Prozess gemacht. Und was dabei herauskommt, das steht schon fest: Der Okzident ist rassistisch, sexistisch, homophob und in Teilen faschistisch. Das Gegenteil zu beweisen fällt schwer, zumal die Eliten diese Ansicht selbst vertreten und verbreiten. Dabei sind natürlich auch die meisten Beweise gefälscht oder dünn. Aber man kann sie leicht beschaffen. Und Zeugen finden sich doch immer.

Und dann natürlich die Selbstbefragung des Angeklagten! Wer hätte nicht auch schon einmal rassistische, sexistische, homophobe oder sogar rechte Gedanken gehabt? Voilà, an der Sache ist also was dran. Und das Gegenteil zu beweisen, das fällt schwer. Doch halt! Ist es wirklich ein Verbrechen, ein bisschen rassistisch zu denken. Darf man Frauen nicht die Tür öffnen? Handelt es sich um eine Straftat, sich über Schwule lustig zu machen? Und wird man zu einem Wiedergänger Hitlers, wenn man bedauert, dass Berlin wegen der vielen Migranten keine lebenswerte Stadt mehr ist und deswegen ins Umland zieht? Und macht das die Gesellschaft zu einem Vierten Reich?

Auch früher hat man die Gesellschaft gerne in Bausch und Bogen verdammt. Wir erinnern und an Adorno Spruch: Es gebe kein richtiges Leben im Falschen. Ein Satz und alles ist Asche. Und schwer zu widerlegen ist er außerdem. Doch wer anfängt, sich zu verteidigen, der hat schon verloren. Man versuche einmal zu beweisen, dass man kein Rassist ist. Mit jeder Bemerkung wird es schlimmer und peinlicher. Besser ist es wohl, gleich zuzugeben, dass die Welt nicht perfekt ist, dass man Rassist ist, dass man schon mal sexistische Gedanken hatte und dass man deshalb keine Alpträume hat. Immerhin ist es nicht verboten, kein guter Mensch zu sein. Verboten ist es nur, Gesetze zu übertreten. Wenn man den Gedanken beherzigt, dann ist der Bann gebrochen. Jetzt muss man nur noch den Mut haben, den Anklägern zu sagen, dass sie doch auch heimlich Gedanken hegen, die nicht ganz koscher sind. Doch damit es niemand merkt, vor allem sie selbst, müssen sie eben besonders laut tönen. Lassen wir uns also nicht ins Bockshorn jagen, sondern stehen wir dazu, dass wir nicht perfekt sind. Vor allem dazu, es nicht sein zu wollen.

Christian Kümpel

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Freiheit, die ins Nirgendwo führt

Der Freiheitsbegriff ist komplex. Doch kann man Freiheit im Wesentlichen so definieren: Freiheit heißt, der Mensch kann tun, was er will. Da schließt sich allerdings eine Frage an: Jeder kann tun, was er will. Aber kann jeder wollen, was er will? Schopenhauer hat darauf schon vor 200 Jahren hingewiesen, dass wir Kräften ausgesetzt sind, die unser Handeln bestimmen, ohne dass wir von ihnen Kenntnisse haben.  Diese Kräfte liegen in tiefen Schichten, die uns nicht wirklich zugänglich sind. Vermutlich sind wir deshalb nicht in dem absoluten Sinne frei, wie sich das manche vorstellen.

Und dann gilt es, auch noch folgenden Punkt zu beantworten: Wohin führte eine Freiheitsentwicklung, die immer neue Freiheiten einfordert? Wenn man sich anschaut, woher die Freiheit kommt, dann war es ein langer Weg zu der Freiheit, die wir heute genießen. Zunächst einmal lebten die Menschen in Gesellschaften, die politisch oppressiv waren. Aber auch das gesellschaftliche Klima ließ wenig Spielraum für individuelle Freiheit. Der Liberalismus hat das überwunden. Menschen dürfen ihre Meinung sagen und sie lösten sich von ihren Milieus. Das hatte auch seinen Preis. Viele Menschen fühlten und fühlen sich verloren.

Dann ging es darum Handlungsfreiheit für alle zu ermöglichen. Denn man erkannte, dass Freiheit auch materielle Voraussetzungen hat. Anders gesagt: Ohne Geld ist der Mensch nicht frei. Der Sozialstaat hat dafür gesorgt, dass die Menschen nicht in Freiheit verhungern müssen. Doch auch der Sozialstaat hat seinem Preis, denn er macht Menschen abhängig.

Nun ist man im Begriff, noch einen Schritt weiter zu gehen. Es genügt nicht mehr, von Milieus und Armut befreit zu sein. Man will auch von den eigenen biologischen Voraussetzungen befreit sein. Die Identitätspolitik geht deshalb den letzten Schritt: Freiheit von den geschlechtlichen Bestimmungen. Kurioserweise sperrt die Identitätspolitik uns aber wieder in Milieus und Gruppen ein und reduziert Freiheit. Es ist wohl immer so, dass Freiheit immer auch Unfreiheit mit sich bringt. Doch lassen wir diesen Aspekt einmal außen vor. Konzentrieren wir uns auf die freie Geschlechterwahl. Da wird so getan, als ob man sich vollkommen von den Gegenheiten lösen könnte.

Doch wenn man sich sein Geschlecht frei wählen kann, warum nicht auch seine Hautfarbe? Immerhin kann man ja auch behaupten, schwarz wäre das neue Weiß. Und warum könnte man nicht entscheiden, morgen ein Baum zu sein, wenn man sich so fühlt? Immerhin haben wir mit Bäumen viele Genome gemein. Wer kann eigentlich noch entscheiden, was Freiheit ist, was Wahnsinn, wenn alles ins Subjektive verlegt wird?

Mich erinnert die Entwicklung an die Geschichte vom Fischer und seiner Frau. Die wollte immer mehr. Zuerst waren ihre Wünsche nachvollziehbar. Dann wurde man unverschämmt. Schließlich größenwahnsinnig. Am Ende saßen sie beide wieder in dem Topf, aus dem sie dank des Fisches herauskamen. Und ich fürchte, genau so wird es uns mit der Freiheit gehen. Wenn man absolute Freiheit will, wenn man gottgleich sein möchte, dann wird man alles verlieren. Hoffentlich erkennt man das, bevor es zu spät ist.

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Nazi-Vergleiche gehen doch

Dieter Hallervorden hat jüngst Gendern mit der Sprache des Dritten Reichs und der Kommunisten verglichen. Das ist dem Tagesspiegel sauer aufgestoßen. Dort hieß es wörtlich: „Denn er war sich nicht einmal zu schade, den Vergleich zu ziehen, auch „Nazis“ und „Kommunisten“ hätten die Sprache „von oben herab auf Befehl“ zu entwickeln versucht.“

Natürlich darf man Hallervorden vorwerfen, dass er Gendern mit der Sprachpolitik des Dritten Reichs und der Kommunisten vergleicht. Aber es bleibt ihm dennoch unbenommen, einen Vergleich zu ziehen. Bekanntlich wird man ja erst klüger, wenn man vergleicht. Und dann ist ja auch die Frage, ob der Vergleich stichhaltig ist oder nicht.

Die Nazis erfanden Wörter, die offiziell benutzt werden mussten, zum Beispiel in Universitäten, Zeitungen oder auf Ämtern. Die Genderisten – Leute, die oft an den Schalthebeln der diskursiven Macht sind – erfinden Wörter, die man benutzen muss, wenn man zum Beispiel studiert. Und weil die Deutschen so sind, wie sie sind, machen viele mit, weil man feige ist. Fazit: Der Vergleich ist schlüssig.

Kommunisten wollten die Welt mit Worten zu einem besseren Ort machen. Antifaschistischer Schutzwall, Bodenreform oder auch Schwangerschaftzunterbrechung, die Begriffe sollten die Welt verändern. Allerdings war der Schutzwall eher eine Gefängnismauer, die Bodenreform die Enteignung von Bauern, die gerade Land erhalten hatten und die Schwangerschaftsunterbrechung fand keine Fortsetzung. Angeblich wären die Worte aus dem Volke gekommen. Das stimmte nicht.

Von Sprachentwicklung konnte dabei nicht die Rede sein. Die Sprache wurde vorgeschrieben. Das kommt einem bekannt vor. Die Gendersprache kennt ebenfalls Worte, die die Welt verbessern. Und begründet werden sie mit einer vorgeblichen Sprachentwicklung. Fazit: Auch hier gibt es Parallelen.

Genderisten behaupten, Gendern helfe andere zu inkludieren. Die Absichten sind also hehre. Doch wer will bestreiten, dass die Nazis und die Kommunisten ebenfalls aus ihrer Sicht edle Absichten hatten? Sie dünkten sich moralisch auf der richtigen Seite so wie die Genderisten. Hallervorden hat also zumindest nicht ganz unrecht mit dem Vergleich. Das dies dem linken Tagesspiegel nicht passt, steht auf einem anderen Blatt.

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