Der alte Wolf und der Franzose

Im Reich der Tiere war nach 1000 Jahren Krieg endlich Frieden eingezogen. Wölfe und Schafe, Füchse und Gänse sowie alle anderen Tiere wollten einträchtig zusammenleben. Der Wolf sprach: „ Wir haben abgeschworen den alten Göttern. Sie sind nicht mehr. Die Schafe sind nun unsere Brüder und Schwestern.“
Der Rote schloss sich an: „Füchse sind in die Ställe eingebrochen und haben die Gänse gestohlen. Das soll nicht mehr vorkommen.“ Auch die Katze miaute: „Die Jagd auf kleine Mäuse war mir ein lieber Zeitvertreib. Damit soll jetzt Schluss sein, denn sie sind Tiere so wie ich.“ Man war allseits sehr zufrieden. Doch nach ein paar Tagen meinte ein Schaf nachdenklich: „Soll es so ausgehen? Da haben die Raubtiere, Wölfe, Füchse und Katzen und gejagt und geschunden und getötet und nun soll alles vergessen sein?“ Die Gänse schnatterten: „Die Mörder sind noch unter uns. Das ist nicht recht!” Die Mäuse piepsten:“ Und ist es nicht so, dass wir immer noch Angst vor ihnen haben müssen? Immerhin haben die Wölfe, Füchse und Katzen noch Zähne und Klauen. Wir haben dagegen nur unser Fell.“ Da antwortete ein junger Wolf: „Ich schäme mich so, dass ich ein Wolf bin! Ich wünschte, ich wäre ein Lamm.“ Eine junge Fähre stimmte ein: „Die Alten sind schuld. Sie wissen noch, wie Gänsefleisch schmeckt!“ Und auch ein Katzenjunges miaute: „Wir müssen lernen, wie Mäuse zu sein und wollen unsere Zähne rausbrechen und uns von Gras ernähren.“ Es begann ein Gejammer und Wehklagen, dass man sich die Ohren zuhalten musste. Endlich sprach ein alter Wolf, der alles beobachtet hatte, grimmig zu sich selbst: „Ein Franzose, dessen Name ich vergessen habe, sagte mir vor langer Zeit: Wenn die Tiere Brüder und Schwestern wären, dann würde man bald finden, dass es ungerechter in der Welt zugeht als je zuvor. Denn wir glaubten dann, dass jede Ungerechtigkeit unser eigenes Werk wäre.”

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Demokratie ohne Demokraten

Es gibt demokratische Regeln und es gibt eine demokratische Kultur. Alle Regeln helfen nur begrenzt, wenn es an einer demokratischen Kultur fehlt. Die größte Gefahr für die Freiheit ist der Konformitätsdruck. Er sorgt dafür, dass Meinungen auf Linie gebracht werden. Ebenfalls richtig: Stigmatisierung ist das Instrument, um diese Konformität herzustellen. Das Geschäft hat in der Vergangenheit die Mehrheit besorgt. Das ist heute anders. Heute machen Minderheiten den Job.

Was zeichnet diese Minderheiten aus? Sie sind hochgradig aggressiv und sie vertreten eine Philosophie, die ihnen die geeigneten Instrumenten zur Verfügung stellen, um Konformität herzustellen. Wir nennen die Waffe Identitätspolitik.

Dass die Mehrheit sich konform verhält, kennt man. Es bedarf keines nationalsozialistischen Terrors, um die Menschen zum Schweigen zu bringen. McCarthy in den USA war ein Beispiel. Er konnte seinen Terror verbreiten, weil er an die wichtigsten Narrative andockte. Das, was in seinem Fall die Rote Angst war, ist heute die Angst vor der moralischen Keule, die Angst vor den moralischen Ansprüchen, die in Teilen aus der Gesellschaft selbst kommen und die – man möge mir die Wortwahl entschuldigen – hyperventilieren.

Das glauben sie nicht? Dann probieren sie doch mal, in der Öffentlichkeit zu sagen, dass sie stolz seien auf die deutsche Kolonialgeschichte. Oder erklären sie, dass es große Unterschiede zwischen Frauen und Männern gebe, die Gehaltsunterschiede rechtfertigen. Das sind vielleicht Ansichten, die man kritisieren kann. Aber wer sie heutzutage pflegt, der wird zum Feind der Menschheit erklärt.

Was ist zu tun? Gerade Leute, die sich eher als liberal-konservative Menschen verstehen, sind verpflichtet, die Freiheit zu schützen, indem sie den Nonkonformismus hochhalten. Sie müssen immer wieder betonen, dass man abwegig, falsch und sogar dumm denken darf. Ja, man darf sogar böse Dinge sagen. Und sie müssen immer wieder darauf hinweisen, dass es keine Wahrheit gibt. Das wird ihnen sicher nicht leichtfallen. Denn auch sie sind Moralisten. Aber sie sind, daran besteht kein Zweifel für mich, die letzte Chance auf eine Kultur, die noch den Namen demokratisch verdient.

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Der Kobra-Effekt

Kennen Sie den Kobra-Effekt? Wikipedia schreibt dazu: „Die Bezeichnung geht auf ein angebliches historisches Ereignis in Britisch-Indien zurück: Ein britischer Gouverneur wollte einer Kobraplage Einhalt gebieten, indem er ein Kopfgeld auf jedes erlegte Exemplar aussetzte. Scheinbar funktionierte das Konzept zunächst gut: Immer mehr tote Schlangen wurden abgeliefert. Jedoch wurde deren Anzahl nicht gemindert, da die Bevölkerung dazu überging, Kobras zu züchten und zu töten, um weiterhin von der Prämie zu profitieren.”

Die Berliner Zeitung meldete im letzten Jahr: „Union und SPD haben sich auf die Einsetzung eines Rassismus-Beauftragten geeinigt – allerdings erst nach der nächsten Bundestagswahl. Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) aus Koalitionskreisen erfuhr, soll 2022 ein unabhängiger Beauftragter der Bundesregierung gegen Rassismus berufen werden. Welchem Ministerium er oder sie dann unterstellt wird, ist aber noch nicht klar.“

Was wird vermutlich passieren? Wird der Rassismus-Beauftragte feststellen, dass es keinen Rassismus gibt? Werden die vielen Stiftungen, die sich mit dem Thema beschäftigen, sich irgendwann selbst abschaffen, indem sie feststellen, dass sie überflüssig sind. Oder werden sie, man verzeihe mir den Ausdruck, Rassismus züchten, so wie Inder Schlangen gezüchtet haben, um im Geschäft zu bleiben?

Ich kann mich irren, aber ich vermute, dass man noch lange mit dem Thema beschäftigt sein wird. Denn wer von Problemen lebt, der muss alles tun, dass diese niemals gelöst werden.

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Scheitern besser erklärt

Wenn man als Afrikaner in Europa scheitert, dann aus verschiedenen Gründen. Es könnte an mangelnder Bildung, an einem löchrigen sozialen Netzwerk oder dem Wirtschaftssystem liegen. Die Identitätspolitik liefert allerdings die ultimative Ursache. Man scheitert immer aus einem Grund, den man selbst nicht zu vertreten hat, und der doch etwas mit einem selbst zu tun hat: Rassismus.

Wenn man keinen Erfolg hat, dann wäre es normalerweise ein Grund, Fehleranalyse zu betreiben. Aber da baut die Identitätspolitik vor. Denn am Ende liegt es immer daran, dass man schwarz ist in einem Umfeld, in der man Schwarzen keine Chance gibt. Während jedes Scheitern früher mit einem Schamgefühl behaftet war, kann man jetzt stolz auf die Identität verweisen. Man hatte nie eine Chance, weil man ist, wie man ist.

Die dunkle Seite dieser Weltanschauung ist allerdings, dass niemand auf diese Weise befähigt wird. Befähigt wird eher derjenige, der meint, dass man Widerstände überwinden müsse, indem man sich anstrengt. Derjenige, der meint, dass die Schuld für eigenes Scheitern niemals bei sich zu suchen wäre, der wird sich einrichten und hat noch die Moral auf seiner Seite. Der einzige Wermutstropfen ist da nur, dass es Dunkelhäutige gibt, die erfolgreich sind. Das spräche eigentlich dagegen, dass man alles mit Rassismus erklären könnte. Aber wenn alles nichts hilft, dann kann man ja in diesen Fällen den Zufall bemühen. Wichtig ist nur, dass man sein Weltbild schützt. Die Identitätspolitik liefert da die besten “Begründungen”.

Kü  

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Menschen sind feige

Menschen sind feige. Sie müssen es sein. Denn sie sind aufeinander angewiesen. Sie sind sozusagen soziale Tiere, die nicht allein existieren können. Und das hat Konsequenzen. Man begehrt nicht auf, man duckt sich weg, man formt seine Meinungen der Umwelt an. Feigheit hilft uns zu überleben.

Deshalb schreibt die Max-Planck-Gesellschaft: „Menschen passen nicht nur ihr Äußeres an verschiedene, oberflächliche Modeerscheinungen an, sondern orientieren ihre Meinung oft an der Mehrheitsmeinung, selbst wenn diese nicht ihrer eigenen entspricht. Diese Anpassungsfähigkeit spielt eine wichtige Rolle beim Erwerb kulturspezifischen Verhaltens. Wir erwerben dieses, indem wir uns am Verhalten anderer Gruppenmitglieder orientieren. Werden wir dabei von Anderen mit Informationen konfrontiert, die im Widerspruch zu unseren eigenen Ansichten stehen, übernehmen wir im Zweifelsfalle die Meinung der Mehrheit.“ Weiter heißt es: „Am ersten Teil der Studie nahmen pro Durchgang vier Kinder teil. Sie erhielten scheinbar identische Bücher mit jeweils 30 Doppelseiten, auf denen Tierfamilien dargestellt waren. Links waren Mutter, Vater und Kind zusammen, rechts nur jeweils ein Familienmitglied. Die Kinder sollten nun bestimmen, um welches Familienmitglied es sich handelte. Aber nur drei der Bücher waren tatsächlich identisch, beim vierten war manchmal auf der rechten Seite ein anderes Bild zu sehen. Die Kinder dachten jedoch, dass sie alle die gleichen Bücher vor sich hatten. „Das Kind, welches das abweichende Buch erhalten hatte, wurde mit der aus seiner Sicht völlig falschen Einschätzung dreier Gleichaltriger konfrontiert“, erklärt Haun. „Von 24 Kindern passten sich 18 Kinder in einem oder mehreren Fällen dieser mehrheitlichen Einschätzung an, obwohl sie es eigentlich besser wussten“.“

„Aus welchen Gründen sich bereits Vorschulkinder der Mehrheit anpassen, untersuchten die Forscher im zweiten Teil der Studie. Abhängig davon, ob eine Lampe leuchtete oder nicht, sollten die Kinder nun die richtige Lösung entweder laut aussprechen oder still auf das entsprechende Tier zeigen, sodass nur der Studienleiter, nicht aber die anderen Kinder die Antwort sehen konnten. Von 18 Kindern, die nicht der Mehrheit angehörten, übernahmen 12 in einem oder mehreren Fällen deren Einschätzung, wenn sie ihre Antwort laut aussprechen mussten. Sollten sie hingegen still auf die richtige Antwort zeigen, übernahmen nur 8 von 18 Kindern die Mehrheitsmeinung. Die Kinder passten also in der Regel ihre öffentliche nicht aber ihre private Antwort an die Mehrheit an. Das deutet darauf hin, dass die Anpassung soziale Gründe hat, wie zum Beispiel die Akzeptanz innerhalb der Gruppe. „Bereits vierjährige Kinder unterliegen einem gewissen Gruppenzwang und beugen sich diesem zum Teil aus sozialen Beweggründen“, so Daniel Haun.“

Die Identitätspolitik macht sich zunutze, dass wir feige sind. Privat meinen wir, dass das alles Irrsinn ist. Sagen tun wir es nicht.  Die meisten machen brav mit. Es ist eben so, dass man kein Nazi-Deutschland braucht, um Konformität herzustellen. Man braucht auch keine Sowjetunion. Menschen können sich auch in einem demokratischen System so verhalten, als ob es eine Diktatur wäre. Der Druck muss nur groß genug sein. Wir selbst sind eben immer das schwächste Glied in der Kette. Und leider sind wir nicht alle wie Sophie Scholl, sondern eher wie Radarmenschen, die zusehen, dass sie nirgends anecken, und zwar schon in jungen Jahren.  

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Identitätspolitik von rechts

In einer Welt, in der Institutionen zerbröseln wie Sandburgen während der Flut und in der man das Gefühl hat, dass nichts Bestand hat, ist Identitätspolitik von rechts für manchen attraktiv. Allerdings nicht zwangsläufig zielführend. Ich räume jederzeit ein, dass die rechte Kritik am Liberalismus, zum Beispiel die von Carl Schmitt, beachtlich ist. Allerdings darf man auch fragen, was denn die Inhalte der rechten Identitätspolitik sind. Und da wird es seltsam. Man will zurück zum Eigenen. Und man raunt von dem Unverrückbaren, Ewigen und Heiligen. Schließlich wird auch gerne die Ethnie und Kultur überhöht, ohne dass genau klar wird, womit man den Ausnahmestatus rechtfertigen könnte.

Das, was als das Eigene bezeichnet wird, ist, wenn man genauer hinschaut, eher das, was auf uns gekommen ist. Es ist nichts Göttliches und sicher nichts Ewiges. Das scheint nur so, wenn man in einer kalten Kultur lebt, so wie sie von Claude Lévy-Strauss beschrieben wird. Vielmehr ist ja die Grunderfahrung der Moderne, dass jede Kultur historisch und als solche vergänglich ist. Wer sich da blind stellt, der kommt bald zu so merkwürdigen Ansichten wie, dass Herrmann der Cherusker so eine Art kultureller Urgroßvater wäre und ein Vermächtnis für uns hätte.  

Wenn man sich allein anschaut, wie sich Mentalitäten in diesem Land in den letzten Jahrzehnten verändert haben, kann niemand wirklich behaupten, dass das Deutsche etwas Unveränderliches wäre. Überhaupt, was unsere heutige Kultur ausmacht: Sie ist eben dynamisch. Und das hat ja auch seine guten Seiten. Genau so wenig wie ein Schwarzer gefangen wäre in seinem Schwarzsein sind Deutsche für alle Zeiten Festgelegte. Sie sind, wer würde das bestreiten, auch nicht mehr dieselben wie vor 80 Jahren.

Dass man gerne unter seinesgleichen ist, ist menschlich. Doch zu behaupten, die eigene Gruppe wäre in irgendeiner Form besser und auf alle Zeiten festgelegt, widerspricht jeder Evidenz. Und überhaupt, kann man nicht ein Deutscher sein und gleichzeitig chinesische Vorfahren haben? Und in welcher Hinsicht sollten Deutsche besser sein als Schweden oder Franzosen? Als Autobauer? Ernsthaft?

Zu erkennen, dass nichts unverfügbar ist und man nicht zu einer auserwählten Gruppe gehört, mag schmerzen. Der Schmerz, das nichts bleibt und alles vergeht, ist ebenfalls nicht schön. Doch genau so wenig wie es Indianern hilft, in einem Reservat zu leben und so zu tun, als ob Christopher Columbus an Amerika vorbeigesegelt wäre, wird es uns helfen, etwas zu beschwören, das es so nie gab und nie mehr geben wird. Schlimmer noch. So ein Denken macht uns zukunftsunfähig. Und genau das hat die rechte Identitätspolitik mit der linken gemein. Sie verhindert, dass man über eine offene Zukunft nachdenkt, weil linke und rechte Identitätspolitik davon ausgeht, dass alles so bleibt wie immer: Ein Leben als gruppenbezogener Kampf.

Christian Kümpel

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Pseudo Species

Erik Erikson war Psychoanlytiker. Dennoch hat er im Bereich Verhaltensforschung einen wichtigen Begriff eingeführt: Pseudo Species. Während Gattungen sich biologisch hart unterscheiden, unterscheiden Pseudo Species sich kaum oder gar nicht. Eine argentinische Ameise ist genau so ausgestattet und gebaut wie die nächste. Dennoch bekämpfen sich die verschiedenen Völker des argentinischen Sechsfüßlers unbarmherzig. Und ähnlich machen wir Menschen es, gerade weil wir uns gleichen. Die Erklärung für dieses Verhalten wird in der Tatsache gesucht, dass Pseudo Species allen andern Arten überlegen sind, sogar den Räubern. Doch wenn keine andere Art bedrohlich ist, wird man sich selbst bedrohlich. Warum das so ist, könnte daran liegen, dass Pseudo Species auf diese Weise den Selektionsmechanismus wieder in Betrieb setzten, der ohne Feinde ausgehebelt würde. Das soll jetzt nicht heißen, dass Menschengruppen immer gegeneinander kämpfen müssen, so wie bestimmte Ameisenvölker. Allerdings kann es erklären, warum Menschen Gruppen bilden und dabei andere Gruppen als nicht zugehörig empfinden. Schlimmer noch, man empfindet sie gelegentlich als Feinde.Gruppen bilden sich dabei mithilfe der üblilchen Merkmale: Hautfarbe, Religionszugehörigkeit oder Vermögensverhältnisse. Auch Kultur funktioniert als Abgrenzungsmechanismus, um eine Pseudo Specie zu bilden.

Weil Nationalstaaten all die Unterschiede zur Nebensache erklärten, solange man ihr angehörte, konnten sie Supervölker hervorbringen. Und es ist kein kleines Wunder, wenn Millionen Menschen, die sich nicht kennen und die manchmal wenig miteinander zu tun haben, meinen, sich während ein einig Band von Brüdern und Schwestern. Diese Leistung des Nationalstaats ist historisch. Der Krieg der Gruppen wurde beendet. Doch die Geschichte geht weiter.

Denn der Nationalstaat ist schon seit einigen Jahren im Niedergang. Zum einen wegen der Globalisierung, die den Nationalstaat immer weiter in die Defensive bringt. Zum anderen durch Eliten, die ihrem Nationalstaat entwachsen sind. Die Frage ist, ob diese Entwicklung bald zu einem Supersupersystem führen wird? Wenn man sich die Ameisen anschaut, dann sind die Chancen dafür eher schlecht. Vermutlich wird der Mensch eher neue Pseudo Species bilden, um dem Einzelnen in dieser globalisierten Welt eine Heimat zu geben. Wenn es so ist, dann kann es nicht überraschen, dass die Identitätspolitik im Vormarsch ist. Denn sie propagiert den Kampf der Gruppen mit klarer Feindmarkierung. So gesehen ist die Identitätspolitik die Rückkehr dessen, was man glaubte, überwunden zu haben.

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Doppelbindungsstörung

Der große Denker Paul Watzlawick hielt Doppelbindungen für eine Ursache der Schizophrenie. Ob das so wirklich so ist, kann dahingestellt bleiben. Doch Doppelbindungen sind in der Tat Teufelszeug. Hier ein paar Beispiele für Doublebinding: Eine Mutter macht eine abwehrende Bewegung und bittet das Kind, sie zu umarmen. Ein weiteres Beispiel: Der Chef möchte keine Veränderungen, sagt aber deutlich, dass es nicht so bleiben kann, wie es ist. Nun bin ich in der FAZ auf ein weiteres schönes Beispiel gestoßen. Dort wird der Anfang eines Gedichts zitiert: „For the White Person That Wants to Know How to Be My Friend: „The first thing you do is to forget that i´m black. Second, you must never forget that I´m black.“

Der Satz ist sicher nicht krankheitserregend. Aber das diese Aufforderung zu nicht Gutem führen, ist klar. Denn man fühlt sich ohnmächtig und hilflos, wenn man widersprüchliche Aufforderungen erhält. Dennoch soll man handeln, ohne dass man die Situation einer Lösung zuführen kann. Denn egal, was man macht, es ist falsch und man erreicht das Ziel nicht. Wie kommt man aus der Nummer heraus? Es gibt da ein paar Lösungsansätze.

Man muss zunächst einmal erkennen, dass alle manipulieren wollen. Auch wir. Von allen Tricks ist es dabei besonders manipulativ, den anderen dazu zu bringen, zu heucheln. Wenn ich zum Beispiel einem Alkoholiker Geld gebe und ihm sage, dass es nicht für Schnaps ausgegeben werden darf. Dann zwinge ich ihn, zu lügen und genieße auf billige Art Macht über ihn. Allerdings auf Kosten der Moral. Denn was ist unfairer, als sich über jemanden zu erheben, der keine Wahl hat, indem man ihm vermeintlich eine gibt. Darum sollte man, wenn man fair bleiben möchte, dem Trinker nichts geben oder ihm etwas geben und nichts erwarten. Dem Schwarzen, der von mir verlangt, seine Hautfarbe zu vergessen, ohne sie je zu vergessen, kann man es auch niemals recht machen. Er handelt unfair. Das sollte man schon einmal für sich klar machen. Und man sollte sich auch klar machen, dass es zur Freundschaft gehört, den anderen nicht unfair zu behandeln.

Sollte man dennoch den Versuch machen wollen, diese Freundschaft zu retten, dann könnte man also einmal fragen, was dem schwarzen Dichter wichtiger ist: Ein Freund zu haben oder einen Heuchler zu schaffen. Dann könnten Sie ihm aber auch antworten, dass es schwer sei, zu vergessen, dass er schwarz sei. Denn er mache ja ständig Gedichte darüber. Oder fragen sie ihn, ob Montag vergessen werden soll, dass er schwarz ist, aber Dienstag sein Schwarzsein bedeutsam wird. Wenn er den Ball zurückspielt und meint, dass ein echter Freund schon wissen müsse, wann was im Vordergrund stehe, dann teilen Sie ihm mit, dass man gerade eine anstrengende Beziehung beendet habe und man sich auf eine Freundschaft mit jemanden, der Spielchen spielen will, nicht einlassen kann. Exit, das ist jedenfalls immer eine Option, wenn Identitätspolitik manipulativ wird und auf ihren doppelbödigen Charakter besteht. Manchmal gibt es leider keine andere Lösung, wenn man nicht manipuliert werden möchte.

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Schwarz und Weiß

Wer im 18. Jahrhundert weiß war und keinen gebräunten Teint kannte, der verfügte über die sogenannte vornehme Blässe, die einen Adligen auszeichnete. Wer eine aristokratische Anmutung suchte, der puderte sich. Schon im 20. Jahrhundert galt dagegen der sonnengebräunte Typ als sozialer Aufsteiger. Immerhin konnte er es sich leisten, nicht im sonnenlosen Büro zu versauern. Jetzt verstärkt sich der Trend: Je dunkler, desto besser.

Sehr dunkel, das entspricht dem Hauttyp VI. Man kann ihn laut Wikipedia folgendermaßen beschreiben: dunkelbraune bis schwarze Haut auch in ungebräuntem Zustand, schwarze Haare. Dieser Typus entspricht im Aussehen der neuen Adelskaste. Doch nicht alle können da mithalten. Und nicht alle können so ohne weiteres behaupten, sie wären POCs (People of Colour).

So beschwerte sich die Politikerin die Rashida Tlaib laut Washington Examiner darüber, nicht als Farbige eingetragen zu werden. „The congresswoman from Michigan was upset that the 2020 census does not include “Middle Eastern/North African” as an option in the ethnicity category despite an Obama-era study that recommended otherwise.“ “Do I look white to you?” Tlaib asked Dillingham. Ich fürchte, ja.

Tragisch. Denn viele aus der Türkei, Nordafrika oder Mittel- und Südamerika sind nicht so richtig dunkel. Deshalb kann man sie leicht mit Weißen verwechseln. Doch auch am anderen Ende der Hautfarbenskale gibt es Sorge. Um zu verhindern, dass Kinder zu hellhäutig werden, warnt Stormi Maya: „Facts, white people stop having mixed kids until you understand black culture and struggles . Don’t fetishize black genetics . And black people don’t fetishize mixed kids either , they are humans not pets … you’re also sending a message to full black kids that they aren’t cute.” Man könnte das als eine rassistische Bemerkung ansehen, wenn man nicht wüsste, dass nur Weiße solche Bemerkungen machen können.

Mestizen, Mischlinge, galten in Kolonialzeiten als Säulen der kolonialen Herrschaft. Von den Kolonialherren nicht für voll genommen, waren sie auch bei den Kolonisierten nicht wohl gelitten. Es scheint aber auch heute nicht immer leicht, irgendwas dazwischen zu sein, wenn man den Tweed richtig deutet.

Schließlich sei noch auf folgende Nachricht von Hasnain Kazim hingewiesen: “Token”,  äußerlich POC, aber innerlich weiß. Und was mich wirklich nachdenklich stimmt, ist, dass mir Leute vorwerfen, ich sei mit einer Weißen verheiratet.” Kazim gehört also auch nicht zum neuen Adel. Damit kann er nicht zufrieden sein. Aber vielleicht ist die Hautfarbe auch nur eine Frage der Einstellung. Denn wenn Geschlecht ein soziales Konstrukt ist, warum nicht auch der Teint?

Ich nehme jedenfalls für mich aus der Debatte Folgendes mit: Farbengläubige müssen sich keine Sorgen machen. Am Ende wird wie eh und je darauf geachtet, dass die Hauttypen die entscheidene Rolle spielen, denn wir sind uns zumindest unter der Haut ähnlicher, als wir glauben. Was für ein tröstlicher Gedanke.

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Mehr Licht!

Ist der Rassismus der Grund für Ungleichheit? In einer britischen Studie zum Thema wird festgestellt, dass es keinen systemischen Rassismus in Großbritannien gibt, wenn man darunter die Benachteiligung von Minderheiten durch den Staat und die Gesellschaft versteht. Diese Feststellung wird nun hart angegriffen. Verständlicherweise, denn mit dem aktuellen Konzept systemischen Rassismus hat man einen Schlüssel in der Hand, der vermeintlich alle Türen öffnet. Den möchte man nicht aus der Hand geben. Ian Leslie, britischer Publizist, findet das allerdings nicht richtig. In der FAZ wird er mit folgenden Worten zitiert: „Was ist der Grund für Ungleichheit? Rassismus. Woher wissen wir das Ungleichheit von Rassismus verursacht wird?“ Weil Ungleichheit existiert.“ Diese Art zu argumentiere kennt man bereits. Was ist der Grund für Armut in Afrika? Kapitalismus. Woher wissen wir das? Weil Armut in Afrika existiert.

Menschen haben die Tendenz gerne Abkürzungen zu nehmen. Das spart Energie. Es spart ebenfalls Energie, wenn man gedankliche Konzepte entwickelt, die alles erklären, was vermeintlich falsch läuft, ohne dass sie irgendetwas erklären. Denn wenn es nicht am Rassismus liegt, dass dunkelhäutige Kinder weniger erfolgreich sind, dann muss man wieder nachdenken. Dass kostet Kraft. Und am Ende könnte man am Ende sogar zu dem Schluss kommen, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht immer so erfolgreich agieren, weil auch Religion und Kultur eine Rolle spielt bei der Frage, ob jemand in der Gesellschaft weiter kommt oder nicht. Hierüber würde sich zu sprechen lohnen. Doch wird das überhaupt gewünscht?

Zum Schluss noch ein Witz, der auch was mit einem Türöffner zu tun hat. Ein Betrunkener kriecht um eine Laterne herum. Ein Polizist fragt ihn, was er da suche. „Meinen Schlüssel.“, antwortet der Betrunkene. Wo er ihn verloren habe, fragt der Polizist: „In der dunklen Ecke!“ „Warum suchen Sie denn nicht da?“ fragt verdutzt der Beamte. „Na hier ist mehr Licht.“

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